Im Prinzip sind mir da nur vier theoretische Möglichkeiten bekannt:
- Reisen mit einfacher Lichtgeschwindigkeit (ineffizient, immer noch langsam, und extrem gefährlich, da ein einzelnes Staubkörnchen, das einem entgegenkommt, bereits das Schiff zerstören kann)
- Raumkrümmung (Warpantrieb / Hyperantrieb / Wurmlöcher etc.)
- Tiefschlaf der Besatzung
- ein Generationenraumschiff.
Hier soll es jetzt mal speziell um letzteres gehen.
In der Fiktion haben durchaus bereits einige (meist negative) Beleuchtungen dieses Themas stattgefunden. Ich würde im weiteren Sinne auch die Fernsehserie "The 100" dazuzählen, auch wenn das Ziel des Raumschiffs (Die "Ark" = Arche) da nicht ist, dauerhaft von der Erde wegzufliegen, sondern bloß außerhalb einer radioaktiv verstrahlten Erde solange zu überleben, bis sie wieder bewohnbar wird.
In der medialen Berichterstattung über wissenschaftliche Entdeckungen neuer Planetensysteme dagegen wird dieser Gedanke immer wieder als "Vorschlag" angeführt. Zwar nicht mit Euphorie, nach dem Motto "Das wäre die beste Lösung!", aber auch nicht negativ, sondern einfach neutral. Das soll natürlich bei Berichterstattung erstmal auch der Fokus sein, gerade, wenn es eigentlich nur darum geht, wie weit ein neu entdeckter Planet von uns entfernt ist, und wie lange man dorthin hypothetisch mit einem Generationenraumschiff brauchen würde. Die ethischen Implikationen davon haben also meistens keinen Platz in diesen Berichten, was ich aus dem Kontext nachvollziehen kann.
Generell zeigen jedoch Beispiele wie die Ark aus The 100, dass Generationenraumschiffe sich höchstwahrscheinlich unweigerlich in einen totalitären Albtraum verwandeln würden, an dem kein denkender Mensch freiwillig mitwirken sollte.
Deshalb finde ich es dann doch immer ein bisschen erschreckend, wann immer das als Möglichkeit, einen anderen Planeten zu besiedeln, vorgeschlagen wird.
Auf der Ark aus The 100 zeigt sich das vor allem in einer Sorge vor Überbevölkerung - es herrscht eine strikte Ein-Kind-Politik wie einst in China, und jedes noch so kleine Vergehen eines Erwachsenen wird mit dem Tode bestraft.
Ebenso plausibel, wenn nicht sogar noch plausibler, scheint mir jedoch das umgekehrte Szenario: Ein ständiger Bevölkerungsschwund auf dem Generationenraumschiff, sodass die Leute gezwungen werden, Nachkommen zu haben, und ggf. selbst Straftäter dabei weiterhin mit einbezogen werden, um in Anbetracht der begrenzten Anzahl an Leuten die genetische Vielfalt langfristig sicherzustellen.
Dieses Szenario scheint mir deshalb plausibler, weil ein solches Raumschiff ja nur von hochmodernen Gesellschaften gebaut werden könnte. Mit deren techonlogischem Fortschritt geht auch meist der flächendeckende Zugang zu Verhütungsmitteln einher, sowie die damit verbundenen, andererorts bereits besprochenen Wertevorstellungen: Gleichberechtigung der Geschlechter, Selbstverwirklichung des Individuums etc.
Bei The 100 wird sehr schön deutlich, wie unter existenzbedrohlichen Bedingungen trotz modernster Technik die alten, grausamen Mechanismen der Evolution wieder die Oberhand gewinnen: Innen- und Außengruppen-Denken ("wir" gegen "die anderen") sowie die unterschiedliche Einstufung des Wertes von Leben.
- The 100:
- Verbrecher werden aus der Luftschleuse geworfen ("gefloatet", also euphemistisch "zum Schweben gebracht"), da es chronischen Mangel an Platz und Ressourcen gibt, und es vor dem Hintergrund zu gefährlich ist, Leute weiter mit durchzufüttern, die die gesellschaftliche Ordnung stören.
- Als eine Sektion des Schiffes abgetrennt werden muss, damit die anderen genügend Sauerstoff haben, pickt man sich als erstes den Arbeiterdistrikt heraus, sodass die "höheren" Tiere überleben (natürlich mit der Rechtfertigung, dass sie die Bevölkerung weiterhin anführen können müssen). Das kommt raus, es gibt eine Meuterei, am Ende finden sich (utopischer Kniff der Autoren) dann genügend Freiwillige, die sich opfern - hauptsächlich Eltern, die für ihre Kinder sterben (Evolution 101).
- Später, als die ehemalige Besatzung der Ark bereits seit einiger Zeit auf der Erde lebt, droht eine weitere Naturkatastrophe, vor der es nur an wenigen Orten Schutz gibt - u.a. innerhalb der gelandeten Überreste der Ark. Clarke muss eine Liste von Leuten aufstellen, die darin Zuflucht bekommen - und wer nicht. Ein Jugendlicher fragt nach, warum ein anderes Mädchen auf der Liste steht und er nicht. Clarke argumentiert, sie brauchen genügend Frauen im gebärfähigen Alter (Evolution 102). Zugleich steht jedoch eine andere junge Frau namens Harper nicht auf der Liste. Warum? Weil es in ihrer Familie eine Historie einer bestimmten Erbkrankheit gibt, sodass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie und ihre Kinder auch daran erkranken werden (nur Wahrscheinlichkeit, aktuell gibt es keine Hinweise darauf, dass sie diese Erkrankung bereits hätte). Hin wie her ist ihr Leben weniger schützenswert als das gesunder Frauen ohne diese Vorgeschichte (Evolution 103).
- Das Innen- und Außengruppen-Denken schließlich zeigt sich vor allem in der Konfrontation mit den "Groundern", also den Leuten, die tatsächlich auf der Erde überlebt haben, während diese verstrahlt war. Das ist jedoch für das Beispiel Generationenraumschiff erstmal nur von sekundärer Relevanz, weil es ja erst dann wichtig wird, wenn die Besatzung anderswo auf außerirdisches Leben treffen sollte - oder, im Fall von The 100, sobald die Besatzung der Ark auf der Erde landet.
- Verbrecher werden aus der Luftschleuse geworfen ("gefloatet", also euphemistisch "zum Schweben gebracht"), da es chronischen Mangel an Platz und Ressourcen gibt, und es vor dem Hintergrund zu gefährlich ist, Leute weiter mit durchzufüttern, die die gesellschaftliche Ordnung stören.
Also Fokus zurück auf das Generationenraumschiff: Egal ob Bevölkerungsschwund oder Überbevölkerung: Die Verantwortlichen werden irgendwann mehr und mehr totalitäre Maßnahmen beschließen müssen, um sicherzustellen, dass das Raumschiff sein Ziel überhaupt erreicht. Insbesondere dann, wenn die Ressourcen auf dem Raumschiff so begrenzt sind, dass die Crew auf das Erreichen des Zielortes angewiesen ist (anstatt sich komplett selbst versorgen zu können wie z.B. die Enterprise D in Star Trek: The Next Generation).
Wenn ein Bevökerungsschwund langfristig wahrscheinlicher wäre als Überbevölkerung, sähe das im Gegensatz zur Ark folgendermaßen aus:
- Spoiler:
- Klassische Geschlechterrollen sind ruck-zuck wieder da: Wie im The 100-Beispiel wird deutlich, dass das Leben der einzelnen Frau deutlich mehr wert ist als das des einzelnen Mannes. Egal, was es für gefährliche Tätigkeiten an Bord gibt - gehen wir mal gar nicht von "Kämpfen" mit Außerirdischen aus, sondern von Wartungsarbeiten innen und ggf. auch außen am Schiff - Männer werden dafür herangezogen werden, ob sie wollen oder nicht, und Frauen wird die Ausübung dieser Tätigkeiten verboten sein, ob sie wollen oder nicht.
- Deshalb haben die Frauen an Bord es aber nicht unbedingt besser. Bei Geburtenraten unterhalb des "Replacement Levels" wird sich über kurz oder lang eine "Empfängnispflicht" etablieren (wie im Kristen Stewart-Film "Equals"). Selbst, wenn die Ursprungsbesatzung nur aus Freiwilligen bestand, die alle einen Kinderwunsch hatten - deren Kinder werden natürlich in die Welt des Generationenraumschiffs hineingeboren, ohne diesem Deal jemals zugestimmt zu haben.
- Homophobie kehrt wahrscheinlich auch zurück: Angenommen, man startet die Mission mit gleich vielen Männern und Frauen und das hält sich ungefähr die Waage, dann ist jedes gleichgeschlechtliche Paar an Bord mindestens zwei Personen weniger in der nächsten Generation (davon ausgehend, dass sich alle anderen auf "Replacement Level" fortpflanzen). Trotzdem werden diese Menschen natürlich weiter "mit durchgefüttert". Bisexualität könnte eine solche Kultur ggf. noch tollerieren; lesbische Frauen würden ggf. noch angehalten, Eizellen zu spenden, weil es davon eben deutlich weniger gibt als Spermien. Homosexuelle Männer dagegen würden in einer solchen Gesellschaft über kurz oder lang ganz unten landen. Wenn man sich mal die historischen Gesetze anguckt, die Homosexualität unter Strafe gestellt haben, so richteten sich viele davon, inklusive des deutschen §175, ausschließlich gegen Schwule.
- Menschen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen etc. hätten in ähnlichem Maße das Nachsehen wie bei "The 100". Ob jemand, wie die Straftäter in der Fernsehserie, aus der Luftschleuse geblasen wird, sobald bei ihm eine tödliche und/oder erbliche Erkrankung diagnostiziert wird, oder ob Menschen, die bloß die Anlagen dafür haben, gleich abgetrieben werden. Das wurde tatsächlich auch mal in einer Star Trek-Folge thematisiert, wo der bekanntermaßen blinde Geordi LaForge der Besatzung eines Schiffes das Leben rettet, in deren Kultur er gar nicht erst geboren worden wäre.
- Bis Proxima Centauri b zum Beispiel, einem erdgroßen Planeten im nächsten Sternensystem zu unserem (4 Lichtjahre entfernt), bräuchte es bei Reisen unterhalb der Lichtgeschwindigkeit schätzungsweise ca. 6300 Jahre. Proxima b ist aber wahrscheinlich gar nicht einmal so lebensfreundlich, wie man bei seiner Entdeckung dachte (zu nah an seiner Sonne, "tidally-locked", und bekommt regelmäßig Sonnenausbrüche ab). Also müsste das Schiff wahrscheinlich noch weitaus weiter reisen. Dass da viele den Bordkoller kriegen werden, insbesondere die Nachfolgegenerationen, die eben nicht schon aus ausgebildete Astronauten auf das Schiff geschickt wurden, ist abzusehen.
- Aus all diesen Unannehmlichkeiten wird Widerstand entstehen - und den müssen die Verantwortlichen unterdrücken, wenn sie ihr Ziel jemals erreichen wollen. Jemand, der seine oben genannten Pflichten verweigert oder gar den Sinn der Mission als solches infrage stellt, kann nicht tolleriert werden. Von Zensur über Folter, Entmündigung, medikamentöse Kontrolle bis hin zu Hinrichtungen ist da alles drin. Und um häufiges Auftreten von Querulanten zu vermeiden, werden die Nachfolgegenerationen dann irgendwann schon als Kinder in den Bildungseinrichtungen an Bord indoktriniert, damit sie weniger Fragen stellen. Mitunter etabliert sich sogar eine neue (Ersatz-)Religion, damit die Menschen sich selbst und anderen einreden können, ihre Mission habe einen höheren Zweck, als das eigentlich der Fall ist.
- Selbst wenn das Schiff dann irgendwann eine bewohnbare Welt erreicht, diese besiedelt und damit einige der strengen Regeln, die auf dem Raumschiff galten, wieder lockern kann - so hören bei The 100 etwa die standardmäßigen Hinrichtungen relativ zügig auf, sobald man wieder auf der Erde ist - so werden sich doch viele der auf dem Schiff etablierten Sitten und Bräuche über diese lange Zeit so tief in der Kultur verankert haben, dass ein Mensch von der Erde diese Kultur auf dem fremden Planeten wahrscheinlich kaum wiedererkennen, geschweigedenn dort leben wollen würde.
- Die mit Kolonialisierungen oft verbundene Idee, die eigenen Werte, Überzeugungen und Errungenschaften woandershin auszubreiten, wird im All also noch weitaus schlechter "gelingen" als auf der Erde: Auf einem Planeten, wo es mit Glück Sauerstoff, angemessene Temperatur und für Menschen verträgliche Nahrung gibt, müssen die Siedler immer noch wieder völlig bei Null anfangen. Sie landen dort als Steinzeitmenschen mit modernen Klamotten. Absolut alles, was man für die Aufrechterhaltung seines gewohnten Lebensstandards braucht, muss man mitbringen - und wenn es ausfällt oder kaputtgeht, gibt es keinen Ersatz. Der Kampf um Ressourcen und das "Survival of the Fittest" wird sich dort also auch wieder bemerkbar machen - nicht nur mit (eventuell vorhandenen) außerirdischen Einheimischen, sondern auch unter den Siedlern selbst.
- Klassische Geschlechterrollen sind ruck-zuck wieder da: Wie im The 100-Beispiel wird deutlich, dass das Leben der einzelnen Frau deutlich mehr wert ist als das des einzelnen Mannes. Egal, was es für gefährliche Tätigkeiten an Bord gibt - gehen wir mal gar nicht von "Kämpfen" mit Außerirdischen aus, sondern von Wartungsarbeiten innen und ggf. auch außen am Schiff - Männer werden dafür herangezogen werden, ob sie wollen oder nicht, und Frauen wird die Ausübung dieser Tätigkeiten verboten sein, ob sie wollen oder nicht.
Heißt kurz und knapp: Mit einem Generationenraumschiff begibt man sich gutgläubig in ein totalitäres System, bei dem weder man selbst noch der Großteil der eigenen Nachfahren die Früchte dieser Last jemals zu sehen bekommen wird - und die, die den fernen Planeten dann tatsächlich erreichen, würden, wenn man sie auf der Erde danach gefragt hätte, dort wahrscheinlich gar nicht mehr leben wollen, weil sie wieder in die Urzeit zurückgeworfen werden, mit all der evolutionären Brutalität, die der Mensch in seiner Hybris glaubte, überwunden zu haben.
Überlegungen wie diese sind es, die mich persönlich zum Antinatalismus geführt haben, wie ja auch immer wieder in anderen Posts deutlich geworden ist (z.B. hier und hier):
- Spoiler:
- Die Erde wird irgendwann zerstört, egal, ob vom Klimawandel, einem Meteoriteneinschlag, einem Sonnensturm, der alle elektrischen Geräte durchschmort (vergleichbar mit einer EMP-Bombe), einem Gammablitz, oder einfach der Sonne selbst, wenn sie zum roten Riesen wird.
- Die Aussicht, von der Erde bzw. aus dem Sonnensystem wegzukommen, ist äußerst unwahrscheinlich - mit (Über-)Lichtgeschwindigkeit reisen geht nicht, Raumkrümmung / Warpantrieb wurde noch nicht erfunden, falls das überhaupt geht, ein Schiff mit Besatzung im Tiefschlaf müsste komplett autark funktionieren und würde sonst einfach für immer durchs All treiben, und ein Generationenraumschiff wäre ein interstellares 1984.
- Jede weitere Generation, die geboren wird, bringt uns letztendlich nur ein weiteres Stückchen näher an eines dieser zerstörerischen Ereignisse. Jeder denkt zwar, das ist noch lange hin und betrifft ihn persönlich nicht, aber wer immer das Pech hat, dass sein Bewusstsein bei einem Menschen erwacht, der um die Zeit lebt, wenn ein solches Ereignis eintritt, der wird sich bestimmt nicht dafür bedanken. Alle davor leben, recht buchstäblich, nach dem Motto: "Nach mir die Sintflut."
- Dieser definierte Endpunkt der menschlichen Zivilisation macht "Fortpflanzung als Selbstzweck" letztendlich sinnlos. An die Apokalypse haben Menschen zwar immer schon geglaubt, aber früher dachten sie, die käme von Gott, der dann jeden einzelnen Menschen nach seinen guten und schlechten Taten beurteilt. Die Wirklichkeit ist das genaue Gegenteil: Die Zerstörung der Erde wird von der Natur bzw. dem Universum herbeigeführt, und dem ist nicht nur der einzelne Mensch, sondern auch die Menschheit als ganzes herzlich egal.
- Und da das Leben bereits auf der Erde selbst mit genug Quälerei verbunden ist, stellt sich die Frage: Wenn man ein "höheres Ziel", das am Ende steht - so wie beim Generationenraumschiff die Erreichung und Besiedlung eines neuen Planeten - bei der Fortpflanzung nicht für sich in Anspruch nehmen kann, wofür dann überhaupt das Ganze? Warum das Spiel "so lange hinauszögern", bis die Sonne den Deckel drauf macht und sagt: "Feierabend"?
- Die Erde wird irgendwann zerstört, egal, ob vom Klimawandel, einem Meteoriteneinschlag, einem Sonnensturm, der alle elektrischen Geräte durchschmort (vergleichbar mit einer EMP-Bombe), einem Gammablitz, oder einfach der Sonne selbst, wenn sie zum roten Riesen wird.
Ich glaube, wir alle sind froh, dass wir im 20. oder 21. Jahrhundert geboren wurden statt irgendwann früher, wo die Zeiten härter waren. Doch wer weiß, vielleicht sollten wir auch froh sein, dass wir nicht irgendwann später geboren wurden / werden, in einer Zeit, wo die Erde am Rand der Zerstörung steht. Oder schlimmer noch: Auf einem Generationenraumschiff, das mit der Rechtfertigung, die letzte Hoffnung auf das Überleben der Menschheit zu sein und dem Zweck, eine neue Welt zu erreichen, jedes seiner Mittel heiligen kann.
Oder um es anders zu sagen:
"What do you call a space ship with an authoritarian system that forces its people to procreate?"
- Spoiler:
- Dicktator Ship
*badumm-tss*