von moriazwo Di 3 Dez 2013 - 13:32
Vor kurzem gekauft, vom Autor signieren lassen und schon "verschlungen":
Todesengel von Andreas Eschbach.
Auf Lovelybooks hab ich dazu Folgendes geschrieben:
Selbstjustiz gegen Kapitulation des Rechtsstaates?
Die Anwendung von Gewalt und ihr Umgang damit, sind das zentrale Thema dieses Romans. Erich Sassbeck, ein ehemaliger DDR-Grenzer im Ruhestand, will mit der letzten U-Bahn nach Hause fahren. Er beobachtet, wie Jugendliche aus purer Zerstörungswut Sitze im Wartebereich des Bahnsteigs zertreten. Als er sie auffordert, damit aufzuhören, richtet sich ihre Wut gegen ihn und sie schlagen und treten ihn brutal zusammen. Bevor Sassbeck das Bewusstsein verliert, sieht er, wie hinter einer Säule eine "Lichtgestalt" - ein Engel - hervortritt, zwei Pistolen zückt und seine Peiniger niederstreckt.
Die Polizei steht vor einem Rätsel, unterstellt gar dem schwer verletzten Sassbeck, selbst für den Tod der Jugendlichen verantwortlich zu sein.
Die Hauptfigur des Romans, der zunächst erfolglose Journalist Ingo Praise, erhält Hinweise, dass die Polizei sich irrt und die Darstellung von Sassbeck der Wahrheit entspricht. Er beginnt zu recherchieren und bekommt von seinem Arbeitgeber die Gelegenheit, eine TV-Sendung seines lokalen Senders zu moderieren, die "Anwalt der Opfer" genannt wird. Hier bemüht er sich, die Position der Opfer von Gewaltverbrechen in den Fokus der Zuschauer zu rücken. Er ahnt nicht, dass er damit eine Entwicklung einleitet, die auf eine Katastrophe zusteuert.
Eschbach lässt seine Charaktere in vielen Szenenwechseln agieren, deren Zusammenhänge dem Leser eine gewisse Zeit verborgen bleiben. Mal begleitet man den "Todesengel" auf seiner Suche nach Gewalt, mal erfährt man über eine Gruppe von vier Menschen, die als Kinder Opfer von Gewalt wurden und mitansehen mussten, wie ein Mann, der ihnen beistehen wollte, totgetreten worden war. Sehr eindrucksvoll wird geschildert, wie dieses Erlebnis ihre Leben bestimmt hat. Jeder hat es auf seine Weise verarbeitet, doch keiner hat die Eindrücke aus der Vergangenheit tatsächlich überwunden.
Es mag spannendere Bücher geben als den "Todesengel". Trotzdem hat mich dieses Buch fast sofort in seinen Bann gezogen. Eschbach legt seinen Finger tief in die Wunden unserer immer mehr abstumpfenden Gesellschaft, in der Umgang mit Gewalt oft skurrile Konsequenzen nach sich zieht. Die Rollen von Täter und Opfer werden durch zweifelhafte Rechtsanwendung vertauscht, oder zumindest vermischt. Wer sich mit Erfolg gegen einen gewaltsamen Angriff zur Wehr setzt und dabei den Angreifer schädigt, muss sich in Gerichtsverfahren wegen Unverhältnismäßigkeit der Mittel verantworten, und Vieles mehr. Man spürt beim Lesen deutlich, wie man den Befürwortern von Selbsjustiz Recht zu geben beginnt. Doch bleibt einem im Laufe des Buches genau dieses Gefühl regelrecht im Halse stecken. Die Lösung aller Probleme ist sie jedenfalls nicht.
Die Charaktere des Buches sind äußerst sorgfältig gezeichnet und mit sehr dichtem Hintergrund ausgestattet, wodurch sie glaubwürdig und lebendig werden.
Mein Fazit: Das Buch regt zum Nachdenken an. Das behandelte Thema ist hochbrisant und wird in diesem Buch auf eine Weise abgehandelt, die nichts mit der sensationsheischenden Nachrichtenberichterstattung unserer Tage zu tun hat. Dieses Buch legt man nicht einfach aus der Hand und greift zum nächsten. Es klingt nach und bewegt, beschäftigt den Leser noch nachhaltig. Aus meiner Sicht eine klare Leseempfehlung.