Auf dieses Videospiel bin ich Anfang letzten Jahres aufmerksam geworden, als ich auf YouTube nach „Nihilism in the Media“ geguckt hatte - hauptsächlich als Reaktion auf David Stewarts Kritik an Star Wars VIII: The Last Jedi.
NieR: Automata, die Handlung eines Krieges in ferner Zukunft zwischen von Menschen gebauten Androiden und von Alien-Invasoren gebauten Maschinen um die Vorherrschaft auf der Erde, wurde im Vergleich zu The Last Jedi als positives Beispiel für nihilistische Gedankenspiele in der Fiktion hervorgehoben.
Also habe ich ein wenig zu dem Spiel recherchiert (bevor ich es mir im April 2021 dann selbst zugelegt habe - über den Microsoft Store, da es bis dahin auf PC nur via Steam erhältlich war, und die Steam-Version wohl ziemlich verbuggt war).
Wenn ihr auf YouTube NieR: Automata eingebt, werdet ihr zahlreiche Videos von über 30-45 Minuten Länge finden, teilweise auch über eine Stunde lang, die das Spiel in allen Einzelheiten analysieren, und es gefühlt einstimmig als „Meisterwerk“ und „philosophischstes Spiel aller Zeiten“ lobpreisen. Kritische Videos findet man zwar vereinzelt auch, jedoch mit deutlich geringeren Aufrufzahlen - und manche Kritikpunkte beziehen sich bloß auf das Gameplay, nicht auf die Story.
Ich hingegen sehe allein bei der Story so viele Probleme, dass ich nicht verstehe, wie ausgerechnet diese Geschichte bei so vielen Spielern derart heftige emotionale Reaktionen auslösen konnte, dass sie nicht nur über gefühlt jedes zweite Ereignis, das im Spiel passiert, Tränen vergießen - sondern auch jene reflexartig mit religiösem Eifer attackieren, die es wagen, die „Meisterhaftigkeit“ des Spiels (und seines Schöpfers, Yoko Taro) infrage zu stellen.
Hier nur eine kleine Auswahl meiner Kritikpunkte an der Story allein:
Haben andere von euch das Spiel auch gespielt - und erfolgreich eine emotionale Verbindung zu den Charakteren herstellen können, die bei mir ausgeblieben ist?
Es fällt mir schwer, einzuschätzen, wie bekannt das Spiel insgesamt ist; innerhalb seiner Nische (in die ich als expliziter Nicht-Anime-Fan definitiv nicht gehöre) scheint es extrem populär zu sein, und auch von dort aus ein Stück weit den Sprung in den Mainstream geschafft zu haben. Vielleicht sind die beseelten Fans aber auch nur wieder einmal eine besonders laute Minderheit.
Sollte Entwickler Yoko Taro es hier geschafft haben, bei einem derart breiten Publikum derart viele und heftige emotionale Reaktionen mit seiner Geschichte auszulösen - obwohl er wie oben erläutert auf alle landläufigen Schreibregeln gepfiffen hat - sollten wir vielleicht einige dieser oft rezitierten Schreibregeln noch einmal überdenken. Analog zum von mir kürzlich empfohlenen Harry-Potter-Test.
Vielleicht handelt es sich bei der lauten Minderheit aber auch einfach nur um eine selbstselektierte Zielgruppe, die besonders nah am Wasser gebaut hat. Und sich deshalb auch von Szenen zu Tränen rühren lässt, die andere als unlogisch und/oder emotionale Manipulation durchschauen.
NieR: Automata, die Handlung eines Krieges in ferner Zukunft zwischen von Menschen gebauten Androiden und von Alien-Invasoren gebauten Maschinen um die Vorherrschaft auf der Erde, wurde im Vergleich zu The Last Jedi als positives Beispiel für nihilistische Gedankenspiele in der Fiktion hervorgehoben.
Also habe ich ein wenig zu dem Spiel recherchiert (bevor ich es mir im April 2021 dann selbst zugelegt habe - über den Microsoft Store, da es bis dahin auf PC nur via Steam erhältlich war, und die Steam-Version wohl ziemlich verbuggt war).
Wenn ihr auf YouTube NieR: Automata eingebt, werdet ihr zahlreiche Videos von über 30-45 Minuten Länge finden, teilweise auch über eine Stunde lang, die das Spiel in allen Einzelheiten analysieren, und es gefühlt einstimmig als „Meisterwerk“ und „philosophischstes Spiel aller Zeiten“ lobpreisen. Kritische Videos findet man zwar vereinzelt auch, jedoch mit deutlich geringeren Aufrufzahlen - und manche Kritikpunkte beziehen sich bloß auf das Gameplay, nicht auf die Story.
Ich hingegen sehe allein bei der Story so viele Probleme, dass ich nicht verstehe, wie ausgerechnet diese Geschichte bei so vielen Spielern derart heftige emotionale Reaktionen auslösen konnte, dass sie nicht nur über gefühlt jedes zweite Ereignis, das im Spiel passiert, Tränen vergießen - sondern auch jene reflexartig mit religiösem Eifer attackieren, die es wagen, die „Meisterhaftigkeit“ des Spiels (und seines Schöpfers, Yoko Taro) infrage zu stellen.
Hier nur eine kleine Auswahl meiner Kritikpunkte an der Story allein:
- Spoiler:
- - Die drei Hauptcharaktere 2B, 9S und A2 bleiben in ihrer Motivation reichlich flach und eindimensional. Auf ihre „existenzielle Krise“ reagieren sie nicht etwa mit Erkenntnis und einer Charakterentwicklung (Disaster —> Dark Night of the Soul —> Aha Moment), sondern durch Perseveration: Sie bleiben auf ihrem bisherigen Pfad, nämlich weiterhin Maschinenwesen zu töten. Das Spiel entscheidet sich dafür, manche Motivationen der Charaktere erst am Ende zu enthüllen, als Plot Twists bzw. Auflösung des Mysteriums. Doch warum soll man bis dahin emotional in einen Charakter investieren, wenn man nicht versteht, warum er tut, was er tut?
- Die Schreibregel 101 „Show don‘t tell“ wird einfach mal frech auf den Kopf gestellt: Tell, don’t show. Wenn das Thema der Geschichte die Bedeutungslosigkeit der Existenz ist, dann sagen Charaktere das einfach (Eve, 9S, besonders Holzhammer-mäßig natürlich das Maschinenwesen „Jean-Paul“, der einfach Sartre sein bzw. imitieren soll). Wenn Maschinenwesen Gefühle und/oder Bewusstsein entwickeln (oder auch die Pods, die einen begleiten), dann kündigen sie das auch gerne einfach mal explizit an.
Schlüsselszenen (wie die Vorgeschichte der Charaktere A2, oder Devola und Popola) werden nicht etwa als Cutscenes gezeigt (obwohl das Spiel das Gameplay ohnehin bereits andauernd mit Cutscenes unterbricht, um die Story in einen bestimmten Verlauf zu zwingen). Stattdessen werden sie als bloßer Text auf dem Bildschirm präsentiert. In einem Buch wäre das vielleicht noch „show“, je nachdem, welche Formulierungen man gebraucht. Wenn man jedoch das visuelle Medium zur Verfügung hat, dann wird aus „show, don‘t tell“ logischerweise „show, don‘t write“.
- Non-Sequitur-Handlungsverläufe. Zum Beispiel ist unklar, was man aus dem negativen Ausgang des Friedensprojekts von Nebencharakter Pascal lernen soll. Dass Pazifismus keine Lösung ist?
Die Maschinen in Pascals Dorf haben nicht die Fähigkeit zur Gewaltausübung verlernt: Sie haben immer noch Waffen, verkaufen die einem sogar - und bei den meisten Maschinen sind die ja eh im Körper eingebaut. Als Pascals nachher einen Goliath übernehmen und selbst Gewalt anwenden muss, zögert er auch keine Sekunde.
Das Dorf wird auch nicht etwa von Maschinen von außerhalb überrannt, weil die Bevölkerung unfähig ist, sich zu wehren. Stattdessen drehen die Einwohner plötzlich durch und fallen übereinander her. Pascal rettet die „Kinder“-Maschinen in die verlassene Fabrik, doch während seines Kampfes mit dem Goliath bringen sie sich um. Warum? Weil er ihnen beigebracht hat, was Furcht ist.
Doch was hat das mit seinem Glauben an Pazifismus zu tun?
Und wovor konkret hatten die Maschinen Angst? Vor dem Tod? Dann ist Selbstmord kontraproduktiv. Vor einem schmerzvolleren Ableben im Kampf als durch die eigene Hand? Warum das? Hat Pascal ihnen auch beigebracht, was Schmerz ist? Bei Maschinenwesen kann man im Gegensatz zu biologischen Organismen schließlich nicht davon ausgehen, dass all diese Empfindungsfähigkeiten bereits eingebaut sind.
- Plot-Inkonsistenz. So ist etwa die zentrale Tragödie von 2B und 9S, dass 2B eigentlich eine Exekutionseinheit ist (2E), die darauf ausgelegt ist, 9S immer wieder zu töten, wenn er zu nah an die Wahrheit kommt (nämlich dass die Menschen, für die die Androiden kämpfen, gar nicht mehr existieren). Diesen Befehl muss 2B aber während der gesamten Handlung niemals ausführen.
2B tötet 9S zwar mehrfach - aber es ist jedes Mal 9S selbst, der es vorschlägt bzw. sie darum bittet (indem er z.B. zweimal als erster seine Blackbox herausholt, um die Selbstzerstörung zu aktivieren, oder sich von ihr erwürgen lässt, weil er sich ein Virus eingefangen hat, das er nicht auf die Raumstation übertragen will, indem er sich hochladen würde).
Im Rahmen einer Nebenquest trifft man eine andere Exekutionseinheit, die eine ihr nahestehende Person auf Befehl von oben hin töten musste. Und man erhält als weitere Nebenquest den Auftrag, eine Gruppe angeblicher YoRHa-Verräter zu töten - das machen 2B und 9S aber zusammen, nicht etwa 2B allein. Das Setup ist also da. Aber der Payoff geht in die Hose.
Vor dem Abstieg zu Beginn von Route C überlegt 9S kurz, 2B zu erzählen, dass die Menschheit nicht mehr existiert. Täte er das, wäre er also ein proaktiver Protagonist, wäre sie in der Folge wahrscheinlich in der Tat gezwungen, ihn zu töten. Stattdessen schweigt 9S, und 2B wird damit nie während des laufenden Spiels in dieses Dilemma gebracht. Es wird lediglich impliziert, dass sie ihn bereits vor Beginn der Handlung unzählige Male töten musste. Aber das ist natürlich wieder tell, nicht show. Das exzellente Setup wird hier also einfach verschwendet.
Und das, obwohl die Kommandantin bereits weiß, dass 9S die Wahrheit herausgefunden hat - sie 2B den Befehl, ihn zu töten, also einfach geben könnte. Das tut sie aber genausowenig.
Zudem gibt es bereits in der allerersten Szene, beim ersten Landeanflug, eine Einheit mit dem offiziellen Buchstaben E, die neben den anderen Einheiten herfliegt. Niemand wundert sich darüber, auch nicht, als 2B den Namen dieser Einheit sagt, um ihren Abschuss zu melden. Wie kann es also sein, dass vermeintlich die anderen Einheiten nichts von diesen Exekutionseinheiten wissen?
- Thematische Inkonsistenz. Das Spiel reißt mehrere Philosophien oberflächlich an, setzt jedoch keine in die Tat um. Das erkennt man an den verschiedenen YouTube-Videos: Je nachdem, wen man sich da anhört, verkörpert das Spiel angeblich entweder Existenzialismus, Nihilismus, Humanismus, Feminismus, Altruismus, Stoizismus etc.
1) Eine existenzialistische Message fällt flach, weil kein Charakter in der Story es schafft, sich selbst einen neuen Lebensinhalt zu suchen, nachdem ihm der alte abhandenkommt. Alle machen stattdessen einfach weiter wie bisher.
2) Somit könnte man die Geschichte also als fatalistisch interpretieren - oder auch als nihilistisch, in dem Sinne, dass jede Suche nach einem (objektiven / anhaltenden) Lebenssinn letztendlich scheitern wird. Doch dann sollte man auch den Mut haben, bei dieser Aussage zu bleiben - und nicht etwa mit Ende E irgendwie wieder einen positiven Ausgang zu fabulieren, den sich keiner der Charaktere durch sein Verhalten verdient hat.
3) Eine humanistische Geschichte würde eine Versöhnung der Androiden mit den Maschinen verlangen - die scheitert jedoch sogar aktiv, und zwar mehrfach. In Ende D verlassen zwar die Maschinenanführer Adam und Eve zusammen mit 2B, 9S und A2 die Erde. Jedoch wird diese „Versöhnung“ eben nicht filmisch gezeigt, sondern nur in abstrakten Worten als Text auf dem Bildschirm impliziert.
4) Jegliche feministische Aussage beschränkt sich eigentlich konkret auf den Boss Simone (de Beauvoir), ihre Obsession mit der Vergrößerung der eigenen Schönheit und ihrer unerwiderten Liebe zu Jean-Paul. Für den Rest des Spiels hat dieser Subplot praktisch keine Relevanz.
5) Die vermeintliche Message über Altruismus wiederum beschränkt sich auf Ende E, das so gesehen gar nichts mehr mit den Hauptcharakteren zu tun hat. Es wird lediglich ein Vorwand für die Abschlusssequenz konstruiert, nämlich dass man hier angeblich die Löschung der Daten der drei Androiden verhindert. Was man de facto macht, ist, auf die Namen der Spielentwickler zu schießen, wobei man auf die simulierte Unterstützung anderer Spieler angewiesen ist (und nachher selbst jemand anderem „helfen“ kann, indem man seinen eigenen Speicherstand opfert - de facto notwendig sein kann das natürlich nicht, um irgendjemanden durch das Spiel zu bringen, da die meisten Spieler mehr Datensätze von anderen während des Kampfes verlieren, als sie selbst zurückgeben können; die Rechnung geht nicht auf).
Es ist also ein weiterer Non-Sequitur; ein plötzlicher Sprung in die reale Welt, der kaum Verbindung zum Rest des Spiels hat.
6) Der stoischste Charakter - und deswegen auch der unnahbarste - ist die anfängliche Protagonistin 2B. Wenn das weinerliche Emo-Kind 9S Kylo Ren ist, ist sie Rey. Das Spiel hätte sich für eine Aussage entscheiden können, wie eine stoische Haltung einen befähigt, mit dem Leid der Welt fertig zu werden, trotz ihrer Bedeutungslosigkeit. Dafür hätte sich 9S nur ein Beispiel an 2B nehmen müssen - indem er aufhört, sie als seine Love Interest zu sehen, sondern stattdessen als seine Mentorin (denn wie es sich für Mentoren gehört, stirbt 2B auf halber Strecke durch die Handlung). So würde sich 9S von dem weinerlichen Jungen am Anfang selbst zu einem stoischeren, reiferen Charakter entwickeln.
Stattdessen passiert das genaue Gegenteil: 2Bs Tod sendet 9S in eine Abwärtsspirale - und macht gleichzeitig klar, dass er der eigentliche Protagonist ist. 2B wird also „gefridged“. Leider sorgt 9S ungezügelter und an mehreren Stellen nicht nachvollziehbarer Abstieg in den Wahnsinn dafür, dass man am Ende jegliche Empathie für ihn verloren hat - und deshalb auch nicht mehr mit ihm mit leidet. Der einzige „legitime“ Gefühlsausbruch seinerseits ist der, wenn 2B stirbt. Danach müsste er irgendwie über sich hinauswachsen, damit die Story noch irgendwohin führt. Das tut er aber nicht.
Haben andere von euch das Spiel auch gespielt - und erfolgreich eine emotionale Verbindung zu den Charakteren herstellen können, die bei mir ausgeblieben ist?

Es fällt mir schwer, einzuschätzen, wie bekannt das Spiel insgesamt ist; innerhalb seiner Nische (in die ich als expliziter Nicht-Anime-Fan definitiv nicht gehöre) scheint es extrem populär zu sein, und auch von dort aus ein Stück weit den Sprung in den Mainstream geschafft zu haben. Vielleicht sind die beseelten Fans aber auch nur wieder einmal eine besonders laute Minderheit.
Sollte Entwickler Yoko Taro es hier geschafft haben, bei einem derart breiten Publikum derart viele und heftige emotionale Reaktionen mit seiner Geschichte auszulösen - obwohl er wie oben erläutert auf alle landläufigen Schreibregeln gepfiffen hat - sollten wir vielleicht einige dieser oft rezitierten Schreibregeln noch einmal überdenken. Analog zum von mir kürzlich empfohlenen Harry-Potter-Test.

Vielleicht handelt es sich bei der lauten Minderheit aber auch einfach nur um eine selbstselektierte Zielgruppe, die besonders nah am Wasser gebaut hat. Und sich deshalb auch von Szenen zu Tränen rühren lässt, die andere als unlogisch und/oder emotionale Manipulation durchschauen.
