Ah, daher weht der Wind.
Die Diskussion können wir gerne führen, ich frage mich jedoch, ob die Richtung, wohin der Thread dann gehen wird, in "Welten und Völker" gut aufgehoben ist, oder doch eher in die Subforen "Stammtisch" oder gar "Plauderecke" gehören.
Wie _Mishra ja gerade in der Zwischenzeit auch schon angeregt hat.
In der Annahme, dass dieser Thread also verschoben werden wird, steige ich mal inhaltlich ein:
Alle sind sich einig, dass man seine Lehren aus der Nazi-Zeit ziehen soll. Wo sich die Leute uneinig sind, ist, welche Lehren das sind. Die Lehren, die ich für mich aus dem dunkelsten Kapitel des 20. Jahrhunderts gezogen habe, sind:
1) Identitätspolitik ist sch*ße.2) Menschen sind anfällig für Kadavergehorsam gegenüber Autoritäten (s. das berüchtige Milgram-Experiment).
3) Menschen sind Stammes-Lebewesen, sie denken in Eigen- und Fremdgruppe.4) Die Methode macht den Nazi.Alles, was von rechts kommt, entweder pauschal als böse zu vermuten oder generell Rechts für gefährlicher als Links zu halten, ist da zu kurz gegriffen.
Genauso finde ich die Art, wie speziell "die Deutschen" sich eine "besondere historische Verantwortung" auferlegen, ein zweischneidiges Schwert. Wir denken zwar gerne, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen, was die Aufarbeitung von Verbrechen in der Geschichte des eigenen Landes angeht - bislang scheint die davon erhoffte "Sogwirkung", dass andere diesem Beispiel der Vergangenheitsbewältigung folgen, jedoch auszubleiben, wenn man mal in die Türkei, nach Russland oder auf den Balkan guckt. Selbst Österreich und Italien ziehen sich ja zuweilen ein Stück weit aus der Verantwortung, was die Weltkriege betrifft, als wären sie zu all ihren Untaten nur von Hitler gezwungen worden. Dabei hat Österreich ihn damals freudig empfangen, als er den "Anschluss" vorgenommen hat; und Mussolini hat Hitler maßgeblich zu seinem Vorgehen bei der Machtergreifung inspiriert. Griechenland anzugreifen ging auch von Mussolini aus, er hat es nur alleine nicht hingekriegt, bis die Nazis zu seiner Unterstützung gekommen sind. Trotzdem habe ich noch nie davon gehört, dass Griechenland in jüngster Zeit von den Italienern Reparationen gefordert hätte, von Deutschland allerdings schon. In Italien kannst du derweil weiterhin Souvenirs vom "Duce" in Touristenshops kaufen, und sein Enkel kandidiert weiterhin für eine neofaschistische Partei.
Im Zweifel hat die deutsche Vergangenheitsbewältigung auf andere Länder also sogar den gegenteiligen Effekt: Es bietet den Menschen eine Vorlage für die beliebte "Single-Cause Fallacy": Man führt die gesamten Geschehnisse auf eine einzelne Ursache (in dem Fall die Anfälligkeit der Deutschen für rechten Populismus) zurück. Was wohl die größte denkbare Simplifizierung ist. Sind es nicht eigentlich die Populisten, die dafür verschrien sind, den Menschen einfache Antworten bieten zu wollen? Es ist ja nicht so, dass das Gehirn der durchschnittlichen Person, die in Deutschland lebt, in irgendeiner nennenswerten Weise anders aufgebaut wäre als das anderer Menschen. Daher denke ich, wir haben als
Menschheit eine historische Verantwortung, insbesondere aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu lernen, nicht als
Deutsche.
Was mich zum ersten Punkt meiner "Lehren" führt:
zu 1):
Identitätspolitik passiert überall da, wo Menschen Eigenschaften oder Aufgaben / Verpflichtungen zugeschrieben werden, sie Vorteile gewährt oder Vorenthalten bekommen bzw. ihnen Schaden zugefügt wird, alles auf Basis von Merkmalen, über die sie keine Kontrolle haben. Hier kommt die klassische Auflistung der Dinge, für die man laut Gesetz nicht diskriminiert werden darf: Geschlecht, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Alter, Religion, Weltanschauung etc.
Bei Religion und Weltanschauung kann man noch drüber streiten. Wenn man einen komplett freien Willen annimmt, kann man sich die ja, im Gegensatz zu den vorher genannten Faktoren, noch selbst aussuchen. Andererseits wird man aber natürlich auch in einen bestimmten Kontext hineingeboren, also mitunter auch in eine bestimmte Religion und/oder Weltanschauung hinein. Kinder fressen im Allgemeinen ihren Eltern buchstäblich aus der Hand, und wie der Comedian Jimmy Dore mal sagte: "You can't reason somebody out of something they didn't reason themselves into."
Die Diskriminierung auf Basis dieser Faktoren ist deshalb unmoralisch, weil niemand Kontrolle darüber hat, also auch keine "Schuld" daran, zu irgendeiner bestimmten Gruppe zu gehören. Wenn ich also auf Basis von Gruppenzugehörigkeit Vor- und Nachteile vergebe, ist das illiberal, weil dann niemand sich diese Dinge aussuchen kann, genauso wenig, wie man sich die Gruppenzugehörigkeit selbst aussuchen kann.
Das gilt dann aber generell. Wenngleich im Ausmaß der Auswirkung auf die Betroffenen keineswegs vergleichbar, macht es alle Maßnahmen unmoralisch, die auf Basis von Gruppenzugehörigkeit ergriffen werden: Die Wehrpflicht nur für Männer ist genauso Identitätspolitik wie der Judenstern; nur den Deutschen eine Verantwortung für die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit aufzuerlegen - anstatt auch den Italienern für Mussolini, den Russen für Stalin, den Türken für den Völkermord an den Armeniern, Serbien für Milošević und Mladić, Kroatien für das Ustaša-Regime, usw. - ist genauso "Stammesdenken", wie als Nazi Angehörige anderer Nationalitäten als Untermenschen zu bezeichnen. Denn es ist nicht die Gruppenzugehörigkeit, die die Gefahr ausmacht, sondern die Methoden, zu denen gegriffen wird.
Deshalb springe ich als nächstes...
zu 4):Der berühmte "politische Kompass" (einfach mal googeln) unterscheidet nicht nur eine links-rechts-Achse (X), sondern auch eine liberal-autoritär-Achse (Y). Daran wird bereits sehr anschaulich deutlich, dass man jede erdenkliche Weltanschauung mit liberalen und autoritären Mitteln verfolgen kann. Nicht deine Weltanschauung macht dich also gut oder böse, sondern, wie weit du bereit bist zu gehen, um die damit verbundenen Ziele zu erreichen. "Die Methode macht den Nazi" könnte man auch umformulieren zu "Der Zweck heiligt niemals die Mittel."
Einen der Hauptgründe für die aktuelle Ost-West-Spaltung im deutschen Wahlverhalten sehe ich darin, dass die Menschen in Westdeutschland in ihrem kollektiven Gedächtnis nur eine Diktatur von rechts kennen, während es in Ostdeutschland fast back-to-back eine Diktatur von rechts und eine von links gab. Die von rechts hat natürlich mehr Schaden insgesamt verursacht und weitaus mehr Todesopfer gefordert - die von links ist allerdings deutlich kürzer her, und daher noch mehr Leuten in der Erinnerung präsent. Während die letzten Personen, die die Nazizeit noch bewusst miterlebt haben und noch mahnende Worte darüber sprechen können, allmählich wegsterben, hat die Mauer jeder über 30 noch miterlebt. Und davon gibt es in Ostdeutschland proportional immer mehr, weil vor allem die jungen Leute abwandern.
Ähnlich ist das vermutlich in den Višegrad-Staaten: Dass die Nazis in Polen einmarschiert sind, ist länger her als die Sovietunion. Das ganze Anti-EU-Getöse, das aus den westslawischen Ländern plus Ungarn kommt, speist sich im Kern daraus, dass diese Länder erst seit relativ kurzem wieder souveräne Staaten sind (also weder Teil der Sovietunion noch deren Satellitenstaaten) und jetzt Angst haben, diese Souveränität wieder an die nächste pan-nationale Institution zu verlieren. Dafür hat Westeuropa, insbesondere der "harte Kern" der EU (Deutschland und Frankreich) wenig Verständnis; gerade in Frankreich läuft ja fast alles zentralisiert über Paris. Macron hätte vermutlich weniger Probleme damit, mehr Dinge zentral von Brüssel aus zu regeln, für die Višegrad-Staaten ist aber genau das der Albtraum.
Das, wovor die Leute meiner Vermutung nach eigentlich Angst haben, ist nicht rechts oder links, sondern das Autoritäre: Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit, Einschüchterung und Wegsperren von ungewünschter Opposition, Enteignungen, Zwangsrekrutierungen, im Schlimmstfall Kriege. Das sind nämlich die Dinge, die
jeden einzelnen in einem autoritären Regime betreffen.
Solange "nur" gegen bestimmte Gruppen diskriminiert wird, sind alle die fein raus, die nicht zu dieser Gruppe gehören. Dementsprechend sehen diese Menschen dann auch nicht, wo "das Problem" liegt, wenn bestimmte autoritäre Maßnahmen ergriffen werden, denn es trifft ja "die Richtigen", damit ist das Mittel okay. Manchmal kann man die Ungerechtigkeit Leuten nur bewusst machen, indem man sie mit dem klassischen Szenario "zur Empathie zwingt":
Fändest du es auch okay, wenn diese Maßnahme gegen dich ergriffen würde? Oder wenn dieses rechtliche Instrument (z.B. zur Einschränkung der Meinungsfreiheit oder Überwachung von Bürgern), das du der Regierung jetzt gewähren möchtest zur Verbrechensbekämpfung, in ein paar Jahren einem anderen Regierungsoberhaupt in die Hände fällt, das nicht deine Meinung teilt? Obama etwa hat Donald Trump den perfekten Überwachungsapparat überlassen; und in der Türkei müssten selbst Erdogan-Fans, die wollen, dass speziell er als Person so viel Macht hat, wie er durch das Verfassungsreferendum bekommen hat, die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass nach ihm ein anderer Präsident kommen könnte, der wirtschaftspolitisch unfähiger ist als er, aber jetzt auf einmal die gleichen autoritären Mittel zur Verfügung hat, die das türkische Volk Erdogan einst gewährt hat.
"Rechts" und "links" sind nur in dem Maße negativ belegt, wie die Bevölkerung eines Landes sie mit autoritäter Herrschaft assoziiert. Im Westen ist "rechts" für uns synonym mit "autoritär"; in den Ex-Soviet-Staaten hingegen ist es fast exklusiv "links", das damit assoziiert wird.Meinungsfreiheit wird ja bekanntlich nur von staatlicher Seite garantiert - private Unternehmen, Online-Plattformen etc. können im Zweifelsfall immer vom Hausrecht Gebrauch machen und jemanden einfach rauswerfen, dessen Nase ihnen nicht passt (es sei denn, die Person kann nachweisen, dass sie buchstäblich und exklusiv aufgrund der Form ihrer Nase herausgeworfen wurde, denn das wäre ja wieder Diskriminierung ^^. Aber beweis das mal!). Dennoch werden private Unternehmen natürlich von ihren Nutzern an diesen Allgemeingütern gemessen.
Und so wurde z.B. Twitter in den vergangenen Jahren hart dafür kritisiert, mit zweierlei Maß zu messen - indem sie Kommentare von konservativen Nutzern auch in harmlosen Fällen schneller löschen oder die Nutzer bannen, während offene Aufrufe zu Gewalt von progressiven Nutzern für alle sichtbar bleiben und ohne Konsequenzen für die Person, die sie gepostet hat.
Ich wünsche mir eine Welt, in der die Menschen nicht auf Basis von Gruppenzugehörigkeit, sondern auf Basis der Handlungen von Personen über sie urteilen. Wenn jemand zu Gewalt aufruft, ist das ein Verstoß gegen Twitters Terms of Service, und dann muss ihn die damit verbundene Strafe treffen, egal, ob er von rechts oder von links kommt. Ist hingegen kein "true threat" in einem Post, oder etwas anderes, was im Firmenstandort USA von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt ist, dann gibt es auch keinen Grund, es zu entfernen. Egal, ob die Meinung unpopulär ist oder sogar inhaltlich falsch - jeder hat das Recht, sich vor anderen durch eigenes Unwissen zum Affen zu machen.
zu 2)"Stammesdenken" bezieht sich darauf, wie wir in den frühesten Tagen der Menschheit gelebt haben: In kleinen, nomadischen Stämmen von ein paar Dutzend Leuten. Wer zum eigenen Stamm gehörte (ingroup), das waren "wir", wer nicht dazugehörte (outgroup), das waren "die anderen". Sobald die Menschen dann sesshaft wurden und feste Territorien für sich beanspruchten, wandelten sich zwar die Kriterien, nach denen man das "Wir" und "die Anderen" bestimmte: Als erstes vermutlich anhand von Nationalität - die Identität ist an das Leben in einem bestimmten Landstrich geknüpft; wer von außen kommt, gehörte dann eben nicht dazu. Im Mittelalter war es dann vor allem die Religion - die Kreuzfahrer haben deshalb ihre internen Differenzen zwischen den ganzen europäischen Königreichen überwunden, weil "ingroup" und "outgroup" sich plötzlich nicht mehr an "Franzosen" und "jemand aus dem Heiligen Römischen Reich" bemaß, sondern für sie die "ingroup" die Christen und die "outgroup" Muslime und Juden waren.
Ab der Renaissance hat man das mit der Religion dann Stück für Stück immer lockerer genommen - dafür wurden sich die Menschen mit der zunehmenden Entdeckung der Welt, von Kolumbus bis zur Kolonialzeit, plötzlich der drastischen Unterschiede zwischen den Völkern verschiedener Erdteile bewusst, nicht nur äußerlich, sondern auch kulturell und in Bezug auf den technischen Fortschritt. Gerade die Europäer entdeckten viele Gebiete, die technologisch bei weitem nicht auf demselben Stand waren wie sie. Es ist also nicht verwunderlich, wenn auch deshalb nicht zu entschuldigen, dass sich viele Kaukasier damals ganz offen für etwas Besseres gehalten haben - sie hatten ja vermeintlich den Beweis für ihre Überzeugungen direkt vor ihrer Nase.
Den Rassismus in unserem heutigen Verständnis des Begriffs würde ich also erst in diese Zeit datieren: Vorher hat man natürlich auch schon Gruppenzugehörigkeit an Basis von Nationalität festgemacht. Jetzt jedoch hatten auf einmal Menschen miteinander zu tun, die sich das Anderssein von der für sie geläufigen Norm jederzeit ansehen konnten. Vorher hatten sich afrikanische Stämme untereinander und Indianer-Clans untereinander bekriegt, genauso wie europäische und asiatische Königreiche - die Gruppenzugehörigkeit einer einzelnen Person wird bei solchen Konflikten aber aufgrund der größeren äußeren Ähnlichkeit oft erst klar, wenn sie den Mund aufmacht und eine andere Sprache spricht als man selbst. Treffen dagegen verschiedene Ethnien aufeinander, können diese visuellen Marker schon ausreichen, um auf instinktiver Basis in- und outgroup zu definieren. Menschen sind nun einmal visuelle Wesen, es fällt ihnen schwer, solche Automatismen zu unterdrücken.
Auch in der heutigen Zeit sehen wir natürlich immer noch die drastischen Unterschiede im technischen Entwicklungsstand auf der Welt. Allerdings begründen die meisten Menschen das nicht mehr mit Ethnizität, sondern mit der Kultur, Politik / dem Wirtschaftssystem sowie der Religion / Säkularisierung eines Landes. Wir sind also im Großen und Ganzen nicht mehr der Meinung, dass bestimmte Ethnien anderen überlegen wären, allerdings durchaus der Ansicht, dass bestimmte Kulturen, also bestimmte Lebensweisen, anderen überlegen sein können, während viele dann wiederum "gleichwertig, aber nicht gleichartig sind". Letzteres kann man mit "andere Länder, andere Sitten" abtun; wendet man dieses Prinzip hingegen auch auf die erstgenannten Fälle an ("Kulturrelativismus"), kann man sich von Konzepten wie den Menschenrechten gleich verabschieden, weil die ein objektives Maß für die Zivilisiertheit überall auf dem Globus sind.
Erfreulicherweise habe ich bisher noch nirgendwo ein Schimpfwort à la "Kulturalismus" o.ä. gehört, das diese Sichtweise, dass nicht sämtliche Lebensweisen gleichermaßen zu respektieren sind, diskreditieren würde.
zu 3):Das Milgram-Experiment bestand daraus, dass ein Versuchsleiter im weißen Kittel die Versuchsperson bat, einer vermeintlichen anderen Versuchsperson (einem Schauspieler) Aufgaben zu stellen und bei einer falschen Antwort diese Person mit (vermeintlichen) Stromstößen zu bestrafen. Der Schauspieler tat also nur so, als würde er die Stromstöße tatsächlich erleiden, die Versuchsperson wusste jedoch nicht, dass all das ein Fake war. Während des Experiments wurde die Spannung dieser Fake-Stromstöße immer weiter erhöht; ab einem bestimmten Punkt sollte der Schauspieler sagen, dass er sich weigern würde, weiterzumachen. Der Versuchsleiter hingegen sollte an diesem Punkt die Versuchsperson dazu auffordern, weiterzumachen, weil das Experiment es erfordere. Man beobachtete mit Schrecken, dass diese Anweisungen der Autoritätsperson Versuchsleiter ausreichten, damit die Versuchspersonen die Spannung weiter erhöhten, bis über ein Maß hinaus, das tödlich gewesen wäre, wären die Stromstöße echt gewesen.
Heute würde das Experiment durch keine Ethikkommission mehr gehen - nicht wegen der Stromstöße, denn die gab es ja gar nicht, sondern wegen des Ausmaßes, in dem man die eigentliche Versuchsperson hier belügen muss. Einer Versuchsperson dürfen eben keine bleibenden Schäden zugefügt werden, weder physisch noch psychisch - sie soll das Labor so verlassen, wie sie es betreten hat. Das dürfte schwierig sein, wenn dir der Versuchsleiter bei der Aufklärung nach dem Experiment sagt, dass du die andere Person eigentlich gerade getötet hättest, wenn das real gewesen wäre.
In einem Atemzug damit wird gerne auch das Stanford Prison Experiment genannt, wo die Versuchspersonen zufällig in Gefängnisinsassen und Wärter eingeteilt wurden und dann zwei Wochen lang in diesem Fake-Gefängnis leben sollten. Das Experiment musste schon vorher abgebrochen werden, weil die Wärter anfingen, ihre auf reiner Zufallsbasis gewährte Macht über die Gefangenen auszunutzen, während die Gefangenen emotionale Zusammenbrüche erlebten. Es gibt allerdings Gerüchte, Philip Zimbardo habe das Experiment aus wissenschaftlicher Neugier noch bis zum Ende laufen lassen wollen - seine Freundin habe ihm jedoch gedroht, ihn zu verlassen, wenn er es nicht abbreche. Sie hat ihn offenbar abends am Versuchsort abgeholt und dabei die Zustände beobachtet, die dort bereits nach kurzer Zeit herrschten.
Beide diese Experimente fanden in den USA statt - dem "land of the free", das als eines der wenigen auf der Welt noch nie eine Diktatur erlebt hat.Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass jeder Mensch auf der Welt für die Gefahren autoritärer Regimes anfällig ist. Preußischer Kadavergehorsam mag in Deutschland seinen Teil zur Nazizeit beigetragen haben. Doch Verbrechen, bei denen dieselben Mechanismen am Werk waren, gab es überall auf der Welt. Nur, weil die deutschen Rechten in Bezug auf die Opferzahlen wohl für immer den Vogel abgeschossen haben, sollten Menschen anderswo auf der Welt und mit völlig anderen politischen Überzeugungen nicht dem naiven Glauben verfallen, sie selbst seien dagegen immun.
Eine Tatsache, die der medial omnipräsente kanadische Psychologe Dr. Jordan B. Peterson nicht müde wird, zu predigen, wenn er immer wieder Menschen auf dem gesamten nordamerikanischen Kontinent bewusst macht: "You yourself could have been a Nazi!"
_Mishra schrieb:Ebenso könnte ich den ganzen Tag damit verbringen, mich zu fragen, warum man juden diskriminiert. Oder Moslems. Oder Christen. Oder rothaarige. Oder irgendetwas.
Aber es nützt nichts. Denk nicht zu viel nach. Du machst dich kaputt.
Oder aber du unternimmst etwas. Versuchst aktiv gegen die Dinge vorzugehen, die dir nicht gefallen.
Aber das könnte ein Kampf gegen windmühlen werden.
Ich glaube, zu ein paar dieser Punkte habe ich meine Gedanken jetzt erläutert
.
Rothaarige wurden mWn aus zwei Gründen diskriminiert:
1) Minderheit, wie in allen anderen Fällen auch
2) Das Gen für rote Haare ist rezessiv, sodass Menschen es tragen können, obwohl man es ihnen äußerlich nicht ansieht. Da haben zwei dunkelhaarige oder ein dunkelhaariger und ein blonder Ehepartner ein Kind, und plötzlich ist es rothaarig. In früheren Zeiten, als man von Genetik nichts verstanden hat, war da wohl die naheliegende Schlussfolgerung, die Mutter sei fremdgegangen. Also uneheliches Kind --> gesellschaftlich benachteiligt.
Die Menschen waren aber auch damals schon gut darin, sich Ausreden auszudenken, und so haben manche, die tatsächlich fremdgegangen waren, mythische Gestalten wie Sukkubus und Inkubus in die Welt gesetzt. Die meisten Rollenspieler kennen heute nur noch ersteren, aber Sukkubus und Inkubus sind eigentlich dasselbe Geschöpf: Der Sukkubus ("unten liegend") schlief demnach angeblich erst in Frauengestalt mit einem Mann, um seinen Samen zu stehlen, und dann in Gestalt eines Inkubus ("oben liegend") mit einer Frau, um ihn weiterzugeben. Dabei verwandelte er sich jeweils so, dass er einfach aussah wie der tatsächliche Partner der Person. So konnte jeder behaupten, er sei stets nur seinem Ehepartner treu gewesen, und niemand konnte sich erklären, woher dieses fremde Kind stammt.
Nimm einen Dämon wie den Sukkubus / Inkubus zusammen mit den selten und scheinbar zufällig auftretenden roten Haaren, und schon denkt der mittelalterliche Mensch, rothaarige Kinder kämen vom Teufel. Daher auch die Behauptung, "sie hätten keine Seele".
Wie du siehst, habe ich Spaß daran, Dinge kaputtzudenken - auch Sachen, die ganz offensichtlich nur als Beispiel im Nebensatz genannt wurden
.
Deinen Ratschlag würde ich daher folgendermaßen abwandeln:
Nachdenken ist gut, Grübeln ist schlecht. Grübeln (englisch "rumination") bezeichnet vor allem das Haftenbleiben an vergangenen Ereignissen, die man eh nicht mehr ändern kann. Wie ein Sprichwort sagt: "Sich Sorgen machen ist wie ein Schaukelstuhl - gibt dir etwas zu tun, bringt dich aber nicht vorwärts."
Wenn man sich hingegen vornimmt, "etwas zu unternehmen", dann sollte das Nachdenken unbedingt an erster Stelle stehen. Sonst verliert man sich in bloßer Symptombekämpfung, weil man die ursprüngliche Ursache der Geschehnisse nicht korrekt identifiziert hat.
Zuletzt von Strato Incendus am Fr 13 Sep 2019 - 12:39 bearbeitet; insgesamt 5-mal bearbeitet