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    Beitrag von Susanne Gavenis Fr Apr 20, 2018 2:18 pm

    Hier können wir über dieses Thema plaudern.


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    Beitrag von Fred Erikson Do Apr 26, 2018 4:08 pm

    Folgende Aussage aus dem ersten Kapitel finde ich besonders erhellend - und das nicht nur für den Einstieg:

    Die Körpersprache von Figuren und die Dinge, die sie sagen, sollten nicht wahllos und willkürlich erfolgen, sondern ein klares Ziel haben.

    Ich hatte es schon häufiger, dass ich beim Lesen (bei mir, bei anderen, bei Hobbyschreibern und Hauptberuflern) irgendwie nicht so überzeugt von der Szene oder dem Kapitel war, obwohl die Figuren stimmig handeln, ihre Gefühle nachvollziehbar sind, der Dialog an sich gelungen und die Sprache des Autors bildhaft/passend zur Szene war.

    Dieser Blick auf die Meta-Ebene der Szene gibt (zumindest in manchen Fällen) die Antwort. Der Fehler lag schon am Reißbrett, bei der Konzeption der Szene. Das klare Ziel fehlt und die Szene ist ein (schön geschriebenes) Blabla. Die Fokussierung auf DAS Szenenziel fehlt, weil die Details der Szene nicht aufeinander abgestimmt sind. Es fehlt an Profilschärfe, weil zuviel nebenher geschieht, was gar nicht im Dienste der Szene steht - zum Beispiel der Charakterisierung des Protas - sondern dem Autor an dieser Stelle "logisch" erschien oder zumindest "möglich und interessant".

    Und jetzt kommt die Naturwissenschaftler-Analogie:
    Eine Romanszene soll nicht den Anspruch haben, einen beliebigen Zeitpunkt im Leben der dargestellten Figuren realistisch zu schildern, sondern ein Modell der Wirklichkeit sein. Also eine vereinfachte Darstellung der Wirklichkeit, mit dem Ziel nur bestimmte Aspekte der Wirklichkeit zu zeigen. Und so wie z.B. das Modell einer Körperzelle diese vergrößert darstellt, Farben verwendet, die überhaupt nicht vorhanden sind, und (im Vergleich zu einer lichtmikroskopischen Aufnahme) Kanten schärft und Kontraste erhöht, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken und all das ausblendet, was im Zuge der Zielsetzung des Modells irrelevant ist, so ist auch eine Szene zu konzipieren.


    (Ich hab's bewusst überspitzt formuliert, um Ansatzpunkte für eine Diskussion zu bieten.)


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    Beitrag von Gotthelf Do Apr 26, 2018 7:30 pm

    Ich finde es schwer, Körpersprache sinnvoll einzufügen, denn meist hört sich das für mich nach einer Überzeichnung bestimmter Eigenschaften an. Sicher, wenn man darauf aus ist, dann bitte, aber:

    1. Die Beschreibung eigener Körpersprache (bei personalem Erzähler) macht für mich nur in seltensten Fällen Sinn, da sie bei einem Großteil von uns komplett unbewusst abgeht, und etwas zu beschreiben, dessen man sich gar nicht bewusst ist, wäre ein Bruch der Perspektive und würde wohl mehr schaden als nutzen.

    2. Hängt mit Punkt 1 ab. Da wir das nicht bewusst machen, nehmen wir Körpersprache auch meist unbewusst wahr, weil wir nicht darauf getrimmt sind, einzelne Gesten auszumachen. Wir stellen dann oft fest, dass eine Person auf bestimmte Weise auf uns wirkt, können aber dann nie genau sagen warum.

    Deshalb finde ich, sollte der Autor zunächst den Fokus darauf legen, zu achten, wie denn spezifische Körpersignale auf Menschen wirken und das zu verarbeiten, anstatt die Haltung, Mimik, Gestik minutiös zu beschreiben.


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    Beitrag von marismeno Fr Apr 27, 2018 12:27 pm

    Fred Erikson, das sind harte Worte, aber sicherlich zu hundert Prozent richtig.
    Hart sind sie für Autoren, die es genießen, ihre Ideen und Charaktere ausschweifend zu gestalten und dabei zu erleben, also solche Leute wie mich. Rolling Eyes
    Getreu dem Motto von Stephen King "Kill your darlings!" muss man schon ziemlich genau überlegen, ob wirklich alles, was einem als Autoer gefällt, wirklich in die Geschichte hinein gehört.
    Aber ich bin nicht der Meinung, dass man alles weglassen muss, was einem gefällt, nur weil es einem gefällt. Das kann King nicht so gemeint haben, denn es würde bedeuten, dass eine Geschichte am Ende nur aus ungeliebten, zusammenkonstruierten Elementen besteht. Das kann dann auch einem Leser nicht wirklich gefallen. Der Trick ist sicherlich herauszufinden, was entbehrlich ist, ohne einen Roman zu einem Ereignisbericht zusammenzustreichen. Denn auch Landschaftsbeschreibungen können unentbehrlich sein. Oder eine nicht-plotrelevante Szene kann einen Hauptcharakter im Rahmen von "show, don´t tell" lebendig und nachvollziehbar vorstellen.

    George Martin, der Meister ausschweifender Romane Very Happy hat dazu mal was Hübsches geschrieben, orginellerweise im Vorwort zum Game-of-Thrones-Kochbuch: Sinngemäß das, dass ER es genießen würde, ein Setting zu erleben, zu sehen, zu fühlen und (in diesem Fall) schmecken zu können, dass er gerne ausgiebig in der fantastischen Welt umherwandern und sie kennenlernen möchte. Er würde unterstellen, dass es den Lesern seiner Bücher ähnlich ginge, sonst würden sie diese entsprechend opulent ausgestatteten Bücher ja nicht kaufen. Mit dieser Aussage hat Martin mein Autorenherz gewonnen! Wir Schwafelköppe verstehen uns!

    Vermutlich ist es immer eine Sache von persönlichem Geschmack und Gefühl, was notwendig, was sinnvoll und was lesenswert, bzw. langweilig ist. Immerhin gibt es ja auch Leser(innen), die Kampfszenen überblättern, weil sie anderes lesenswerter finden. Aber bestimmt gibt es einen guten Mittelweg, mit dem man sein eigenes Autorenherz, die meisten Leser der Zielgruppe und den Verleger zufriedenstellen kann.
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    Beitrag von Susanne Gavenis Fr Apr 27, 2018 6:09 pm

    Nein, dass man alle Szenen- und Handlungselemente weglässt, die einem gefallen, und nur solche in seine Geschichte aufnimmt, die man schlecht findet oder die einem egal sind, klingt in der Tat widersinnig und absurd. Wobei ich Fred zu hundert Prozent zustimme, ist, dass der Selektionsprozess bei einem Roman von elementarer Bedeutung ist. Dieser Selektionsprozess ist auf der Ebene der Gesamtgeschichte ebenso zentral wie in jeder einzelnen Szene - was ja auch Sinn macht, denn wenn ich mir während der Konzeption der Gesamtgeschichte überlegt habe, wie die Persönlichkeit meiner Hauptfiguren aussehen soll und welche Konflikte sie in die Geschichte einbringen sollen, muss ich auch auf der Ebene der einzelnen Szenen permanent eine Auswahl treffen, was an Ereignissen, Beschreibungen und Handlungen der Figuren ich in die Szenen aufnehme und was ich weglasse, weil es meinen übergeordneten Zielen nicht dienlich wäre.

    Idealerweise sollte in meinen Augen für einen Autor das, was seiner Geschichte und den Figuren dient (also den Figuren klare psychologische Konturen zu geben, Spannung zu erzeugen, die Handlung straff und zügig voranzutreiben, ohne durch Leerlauf Langeweile zu produzieren, Atmosphäre und Stimmung in den einzelnen Szenen herzustellen), auch das sein, was ihm an Szenenelementen am besten gefällt. Wenn ich z.B. eine Geschichte über einen schüchternen Jungen schreiben will, sollte ich als Autorin auch selbst die Szenen interessant finden, in denen meine Figur mit ihrer Schüchternheit ringen und sie überwinden muss, statt Enten im Stadtpark zu füttern (auch wenn ich unheimlich toll und lebendig Enten beschreiben kann).

    Auch Landschafts- und Umgebungsbeschreibungen können m.E. für eine Geschichte sehr bedeutsam sein, wenn sie in einem für den Leser spür- und wahrnehmbaren Bezug zur gerade handelnden Figur stehen. Eines meiner Lieblingsbeispiele, wo der Autor in meinen Augen seine Umgebungsbeschreibung komplett kontraproduktiv zur eigentlichen Aufgabe seiner Szene benutzt hat, war in einem Fantasy-Roman, in dem ein finsterer Sektierer einen Staatsstreich plant und allmählich das Volk gegen den König aufwiegelt. In einer der zentralen Szenen des Romans hält dieser Antagonist eine Hetzrede auf dem Marktplatz, bei der die Stimmung der versammelten Menge immer mehr kippt und mit Aggressionen aufgeladen wird. Das darzustellen, war - würde ich mal behaupten - die zentrale Aufgabe der Szene, und alle Szenenelemente hätten dieser Aufgabe untergeordnet werden müssen. Mitten in der Rede des Demagogen macht der Autor dann plötzlich einen Kameraschwenk und beschreibt mehrere Seiten lang ausschließlich die Häuser, die um den Marktplatz herumstehen, bevor er mit der Rede und der Reaktion der Zuhörer weitermacht. Diese Hausbescheibungen haben auf mich als Leserin an dieser Stelle der Szene wie eine kalte Dusche gewirkt, die mich vollständig aus der Stimmung der Szene herausgerissen und jegliche Spannung getötet hat.

    In einer Szene, in der der Protagonist vielleicht zum ersten Mal die Stadt betritt, wäre eine solche Umgebungsbeschreibung vermutlich angemessen gewesen, und man hätte sie mit den Gefühlen und Gedanken der Hauptfigur verknüpfen können. In der Szene mit der emotional aufgeladenen Hetzrede des Antagonisten war dieselbe Umgebungsbeschreibung m.E. jedoch völlig kontraproduktiv und nicht einmal für die Schaffung einer bestimmten Atmosphäre gut, denn das Ziel der Szene war ja eigentlich (bzw. hätte sein sollen), eine zunehmende Bedrohung für den Leser spürbar zu machen. Alles, was dieser Aufgabe der Szene dienlich gewesen wäre, hätte Atmosphäre und Stimmung erzeugt, alles andere hätte draußen bleiben müssen.

    Von daher muss sich die Auswahl an Szenenelementen m.E. immer an dem Ziel der jeweiligen Szene orientieren, und ein Szenenelement, das in einer bestimmten Szene gut und notwendig war, wäre in einer anderen Szene mit einem anderen Ziel vielleicht das Schlechteste für die Geschichte, was man machen könnte, würde man es in diese Szene einbauen. Auch die Beschreibung der Körpersprache der in einer Szene handelnden Figuren muss sich m.E. sowohl an dem übergeordneten Gesamtziel der Geschichte (Prämisse, Charakter und Konflikte der Hauptfiguren) als auch an den Erfordernissen der jeweiligen Szene orientieren. Möchte ich als Autor in einer Szene zeigen, wie mein Protagonist beim Gespräch mit seinem dominanten Vater vor Angst innerlich stirbt (was vielleicht ganz am Anfang meiner Geschichte passiert), müsste meine Auswahl an Gedanken, Gefühlen und Körpersprache meiner Hauptfigur und ihres Vaters sich an diesem Szenenziel orientieren (also angstbestimmte Gedanken, Gefühle und Körpersprache auf Seiten meiner Hauptfigur und dominanzbestimmte auf Seiten des Vaters). Möchte ich 200 Seiten weiter eine Szene schreiben, in der die emotionale Entwicklung meines Helden deutlich werden soll, müsste ich die Auswahl an Gedanken, Gefühlen und Körpersprache, die er in der Szene zeigt, an dem beginnenden Selbstbewusstsein, dem Trotz und der Wut auf seinen Vater orientieren, wenn er in der Szene wiederum mit seinem Vater zusammentrifft.

    Gotthelf, ich möchte gerne auch noch ausführlicher auf deine Gedanken eingehen, das schaffe ich aber leider heute nicht mehr.


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    Beitrag von Fred Erikson Sa Apr 28, 2018 5:28 pm

    Gotthelf schrieb:Ich finde es schwer, Körpersprache sinnvoll einzufügen, denn meist hört sich das für mich nach einer Überzeichnung bestimmter Eigenschaften an. Sicher, wenn man darauf aus ist, dann bitte, aber:

    1. Die Beschreibung eigener Körpersprache (bei personalem Erzähler) macht für mich nur in seltensten Fällen Sinn, da sie bei einem Großteil von uns komplett unbewusst abgeht, und etwas zu beschreiben, dessen man sich gar nicht bewusst ist, wäre ein Bruch der Perspektive und würde wohl mehr schaden als nutzen.

    2. Hängt mit Punkt 1 ab. Da wir das nicht bewusst machen, nehmen wir Körpersprache auch meist unbewusst wahr, weil wir nicht darauf getrimmt sind, einzelne Gesten auszumachen. Wir stellen dann oft fest, dass eine Person auf bestimmte Weise auf uns wirkt, können aber dann nie genau sagen warum.

    Deshalb finde ich, sollte der Autor zunächst den Fokus darauf legen, zu achten, wie denn spezifische Körpersignale auf Menschen wirken und das zu verarbeiten, anstatt die Haltung, Mimik, Gestik minutiös zu beschreiben.

    Ich muss mich leider sehr kurz fassen, da ich korrigieren muss. Sad
    Stimmt natürlich, aber ich sehe da kein Problem. Wir vermeiden als Autoren ja auch Redundanz in der gesprochenen Sprache - obwohl das ein Kennzeichen gesprochener Sprache ist, um nur ein Beispiel zu nennen. Klingt erstmal nach einem unpassenden Beispiel, aber ich sehe das so: Ein gutes Mittel zur Charakterisierung wegzulassen, weil die Person es "in der Realität nicht bewusst wahrnehmen würde", wäre wie absichtlich schlechtere Dialoge zu schreiben, weil Menschen "in der Realität eben so reden."




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    Beitrag von Gotthelf Sa Apr 28, 2018 5:53 pm

    Der Vergleich hinkt etwas, und zwar, weil Menschen auch dadurch charakterisiert werden, was und wie sie wahrnehmen. Generell gesprochen nehmen Frauen oft mehr Dinge wahr als Männer, während Männer besser Bedrohungen erkennen, so als Beispiel. Ich habe das auch in meiner Geschichte bemerkt, als ich Rose alles merken ließ, was so um sie herum passierte, und das ganze dann noch überzogen dargestellt, da fragte Sue dann, ob sie hypersensibel sei, oder so etwas. So wollte ich sie aber gar nicht darstellen, sondern nur die Umgebung plastisch beschreiben.

    Wenn du aus der sicht eines Charakters schreibst, der jede Körperhaltung interpretieren kann, wird der Leser vermutlich sehr bald an einen Sherlock Holmes denken, oder glauben, der Autor schaltet sich hier ein ... ich weiß nicht, was von beidem schlimmer ist.


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    Beitrag von Susanne Gavenis Sa Apr 28, 2018 6:08 pm

    Ich stimme Fred sehr energisch zu. Was die reale Welt angeht, Gotthelf, hast du sicherlich recht. Allerdings ist - worauf Fred ja in seinem Anfangsbeitrag, wie ich finde, treffend hingewiesen hat - das Schreiben von fiktionalen Geschichten keine Eins-zu-Eins-Abbildung der Realität, sondern in allererster Linie darauf angelegt, beim Leser ganz bestimmte Wirkungen (sei es emotionaler, psychologischer oder atmospärischer Art) zu erzielen. Und dabei zu sagen: "Ich kann in einer bestimmten Szene meinen Protagonisten nicht die Arme verschränken lassen, wenn er etwas hört, das ihn verärgert, oder ihn nicht den Blick senken lassen, oder ihn nicht sein Gegenüber bei einer schockierenden Enthüllung ungläubig anstarren lassen, oder ihn die Fäuste ballen oder die Lippen aufeinanderpressen lassen, weil IHM SELBST diese Geste in diesem Augenblick unbewusst ist", wäre eine unnötige und kontraproduktive Beschränkung der Möglichkeiten, die das Erzählen von Geschichten bietet.

    Wenn du jetzt ganz pingelig wärst, könntest du natürlich sagen, dass ein POV-Charakter in einer Szene NIEMALS mithilfe seiner Körpersprache näher charakterisiert werden dürfte, weil er sich ja niemals auf diese Weise von außen wahrnimmt. Das würde mir persönlich aber viel zu weit gehen (obwohl ich wirklich darauf achte, die Perspektive bei meinen Figuren einzuhalten). Dass man bei einem POV-Charakter innerhalb einer bestimmten Szene nicht ausschließlich auf die Körpersprache setzen sollte, sondern auch auf die Beschreibung seiner Gedanken und Gefühle, ist klar. Das sollte aber im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass die Beschreibung dieser Gedanken und Gefühle ein Ausschlusskriterium ist, das verbietet, bei dem momentanen POV-Charakter überhaupt Körpersprache beschreiben zu dürfen (für alle, die hier mitlesen und verwirrt sind: POV heißt ganz banal "Point of View" und bezeichnet die Figur, aus deren Perspektive bzw. Augen ich eine Szene schreibe).

    @Fred: Ich fühle mit dir. Mit den Korrekturen bin ich soweit durch, dafür steht bald die Planung der nächsten Klausuren an (die dann natürlich auch wieder korrigiert werden müssen). Seufz!


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    Beitrag von Susanne Gavenis Sa Apr 28, 2018 6:19 pm

    Doppelpost!

    @Gotthelf: Bei einem POV-Charakter in einer Szene Körpersprache zu beschreiben, ist ja erst einmal und vor allem anderen ein indirektes Stilmittel. Die Interpretation dieser Körpersprache kannst du in den allermeisten Fällen dem Leser überlassen, der schon spürt und versteht, warum Figur X in einer Szene scharf Luft holt, wenn sie von Figur Y beleidigt wurde, oder die Stirn runzelt, wenn Figur Z etwas Dummes tut. Das heißt aber nicht, dass du deine Figuren alles wahrnehmen lassen musst (oder solltest), was in einer Szene an Details existiert. Die Figur sollte körpersprachlich nur auf die Dinge reagieren, die für sie in dieser Szene wichtig sind (und das bedeutet automatisch, die dir als Autor wichtig sind, weil sie FÜR DEN LESER wichtig sind). Auch hier geht es doch immer um einen Selektions- und Auswahlprozess, den du als Autor vornimmst, um die Wirkung deiner Szenen und Figuren auf deine Leser zu optimieren. Dass die Figuren dadurch werden würden wie Sherlock Holmes oder irgendein alles registrierender Supercomputer, sehe ich überhaupt nicht. Wenn das so wäre, hätte in meinen Augen der Autor seine Aufgabe der Selektion von Informationen in diesen Szenen nicht gut genug erfüllt.


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    Beitrag von Gotthelf Sa Apr 28, 2018 6:57 pm

    Mir geht es nicht um Schulterzucken, Augenrollen oder Stirnrunzeln, gerade letzteres wird ja teilweise exzessiv verwendet. Zumindest kenne ich keinen längeren Text, in dem jemand mal nicht die Stirn runzelt. Ich rede über Dinge wie, dass jemand das Gewicht auf sein hinteres Bein versetzt, wenn der Gesprächspartner ihm näher kommt, wodurch er eine defensive Haltung einnimmt, und außerdem kleiner aussieht, als er tatsächlich ist. Es ist eine recht spezifische Geste, ganz davon abgesehen, dass auch der Gesprächspartner, wenn er ihm nahekommt, nur noch sein Gesicht sehen kann, das ist dann eine Frage der Physik und nicht von Beobachtungsgabe. Es ist schon ein Unterschied, ob ich bemerke, dass jemand die Hände in den Schoß legt, und es dabei belasse, oder ob ich merke, dass er dann Däumchen dreht oder nervös mit den Fingern über den Handrücken fährt oder ob er die Hände dann noch auf und ab bewegt, oder ob er dazu auch noch mit den Füßen wippt (vor allem wenn er hinter einem Pult sitzt). Wenn mir jemand beschreibt, wie der Redner in 50 Metern Entfernung sich etwas nach vorne lehnt und bei einer Passage das Pult so fest greift, dass seine Knöchel weiß werden, komme ich mir doch verarscht vor... Selbst wenn diese Passage wohl ziemlich gut seine Leidenschaft zum Ausdruck bringen würde, hat sie für mich in diesem Kontext nichts im Text zu suchen.

    Ich habe jetzt Koontz' Anfang nochmal durchgelesen, und obwohl er relativ viel Info über die Körpersprache bringt, tut er es an manchen Stellen auch (vermutlich gezielt) nicht, z. B:

    "Du musst doch schon einmal etwas umgebracht haben“, sagte Roy ungeduldig.

    Er hätte ja auch per Körpersprache zeigen können, das Roy ungeduldig ist. Warum tut er es nicht? Er hätte ja schreiben können "Roy wippte auf den Füßen hin und her" oder ähnlich.

    Etwas weiter im Text:

    „Weil es einfach ein Knaller ist.“

    Hätte er Roys Gefühle mithilfe geeigneter Körpersprache untermalen können. Warum tut er es nicht?

    Meiner Ansicht nach lässt er es weg, weil es dann nicht mehr zu Colin als Teenager passen würde, wenn ihm jedes kleine Detail auffällt, zumal er von seinem Kumpel gerade etwas überrumpelt wurde.

    Ich glaube nicht, dass man oft benutze Körpersignale wie die oben angesprochenen nicht verwenden sollte. Aber ich glaube, dass man sehr spezielle Signale, z.B das Hervortreten einer Schlagader am Hals nur besonderen Personen in besonderen Situationen vorenthalten sollte.


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    Beitrag von Drachenprinzessin So Apr 29, 2018 3:11 pm

    Ich finde es verwirrend Beschreibungen (sei es nun Körpersprache oder etwas anderes) bei Figuren wegzulassen, nur weil man sie im realen Leben nur unbewusst mitbekommt. Z.B. habe ich bei einem Work-in-Progress in einem anderen Schreibforum mal eine Szene gelesen, wo jemand an der Tür schellte und die Protagonistin zusammen mit dem "haarigen Klaus-Peter" zur Tür ging. Ich bin mir nicht mehr über die exakten Worte sicher, aber es war nicht sofort ersichtlich, dass Klaus-Peter ein Hund war. Der Name des Hundes war auch anders, aber es war trotzdem keiner, den ich sofort mit einem Hund assoziiert hätte. Die Szene hat mich als Leser gerade wegen den fehlenden Beschreibungen ziemlich verwirrt. Zuerst dachte ich, Klaus-Peter sei ein Mensch, aber erst durch die Reaktion der Person an der Tür wurde klar, dass Klaus-Peter in der Tat ein Hund ist.
    Man könnte jetzt sagen, man bräuchte den Hund nicht näher zu beschreiben, weil es der Protagonistin ja klar ist, aber das finde ich zu extrem. Vielleicht war es auch kein gutes Beispiel? Wie können Figuren für den Leser lebendig werden? - Charakterisierung mithilfe von Wertungen und Kontrastierungen 4238732442


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    Beitrag von Gotthelf So Apr 29, 2018 3:33 pm

    Da fehlt es aber an Beschreibungen, nicht an Körpersprache. Der Hund kann ja etwas tun, das ihn eindeutig als Hund identifiziert. Wenn er bellt, merkt das der Protagonist schon, dann kann man das in einem Satz erwähnen, und fertig.

    Was ich vielleicht noch hinzufügen würde: Ich bin nicht per se gegen Körpersprache, aber ich denke, dass sie sparsam eingesetzt viel mehr Wirkung entfalten kann. Wenn jemand verwirrt ist, kann er die Stirn runzeln, aber man kann als Autor genauso gut anders seine Verwirrtheit zeigen, z.B indem man ihn dumm nachfragen lässt. Koontz hat das ja gemacht, da brauchte es für mich das Stirnrunzeln am Anfang nicht, das hätte ich Colin auch ohne die explizite Erwähnung zugestanden, da ja ungefähr jeder normale Leser die selbe Reaktion zeigt. Von daher würde ich es tatsächlich nur dann erwähnen, wenn es nicht aus dem Kontext ersichtlich ist, bzw. wenn man als Leser nicht genau diese Reaktion erwarten würde. Macht das irgendwie Sinn?


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    Beitrag von Susanne Gavenis So Apr 29, 2018 4:32 pm

    Macht in meinen Augen sehr viel Sinn. Noch mal kurz zu dem Hund: Hier wäre die Frage, ob der Autor um die wahre Identität vom haarigen Hans-Peter ein Geheimnis machen wollte, das er dann vielleicht ganz am Ende sozusagen als witzige und überraschende Pointe gelüftet hätte, oder ob er einfach nicht auf die Idee gekommen ist, dass die Leser Hans-Peter NICHT als Hund erkennen würden, weil es für ihn selbst sonnenklar gewesen ist.

    Wenn er die Leser langsam und behutsam auf die Enthüllung der Identität Hans-Peters hätte vorbereiten wollen, hätte er dessen Körpersprache - statt sie eindeutig so hundeartig darzustellen, dass selbst der Begriffsstutzigste es verstanden hätte - in einem Graubereich ansiedeln können, wo sie letztlich sowohl zu einem Hund als auch zu einem Menschen hätte passen können ("Hans-Peter lief schon wieder der Sabber aus dem Mund, dabei hatte er gerade erst gegessen", oder so was in der Art). Das käme dann ganz darauf an, was der Autor mit seiner Geschichte für ein Ziel verfolgen würde. Aber ganz ohne Körpersprache kann in meinen Augen so eine Geschichte nicht gut funktionieren.

    @Gotthelf: Deine Beispiele von gestern Abend finde ich sehr erhellend. Hier wäre ich völlig mit dir einer Meinung, dass eine Gewichtsverlagerung auf ein Bein, um kleiner zu wirken, ein so spezieller körpersprachlicher Ausdruck wäre, dass man ihn m.E. nicht in einen normalen Dialog zwischen zwei ganz gewöhnlichen Figuren einbauen könnte (wie etwa bei dem Dialog zwischen Colin und Roy).

    Normalerweise dient ja der Einsatz von Körpersprache in Dialogen und Szenen dazu, die Emotionen der Figuren und ihre Veränderung im Lauf der Szene wahrnehmbar und spürbar zu machen. Dazu eignen sich aber m.E. in erster Linie solche körpersprachlichen Ausdrucksformen, die spontan und meist unbewusst und unbeabsichtigt eine emotionale Regung bei einer Figur anzeigen ("Wo warst du?", fragte sie. Er wich steif einen Schritt zurück. "Das geht dich gar nichts an.").

    Ein körpersprachlicher Ausdruck wie der mit der Verlagerung des Gewichts wäre demgegenüber eine bewusst eingesetzte, fast strategische Bewegung, um damit beim Gegenüber eine bestimmte Wirkung zu erzielen (wie etwa, kleiner und harmloser zu wirken, als ich in Wirklichkeit bin). Sowohl wenn es der POV-Charakter selbst wäre, der in einer Szene diese Geste zeigt, als auch wenn er sie lediglich bei einer anderen Figur beobachten würde, würde ihre Beschreibung als Szenendetail in meinen Augen eine besondere Art von Figur voraussetzen, die es gewohnt ist, eine solche hochspezielle Körpersprache gezielt einzusetzen und sie bei anderen bewusst wahrzunehmen (z.B. ein Spion, ein Ex-Auftragskiller, ein manipulativer Ehepartner, etc.). Als Untermalung und Akzentuierung der gewöhnlichen Emotionen von Figuren während eines Dialogs oder in einer Szene eignen sich derartige körpersprachliche Ausdrucksformen jedoch in meinen Augen nicht.

    Auch bei deinem anderen Beispiel mit dem Redner am Pult stimme ich dir zu. Wenn die Figur, die den Redner beobachtet, zu weit von diesem entfernt ist, um seine Fingerknöchel richtig sehen zu können, darf ein Autor m.E. auch nicht diese Fingerknöchel (oder irgendetwas anderes, das schlicht aus einer zu großen Distanz nicht mehr vernünftig sichtbar ist) als Mittel verwenden, um mit ihrer Hilfe eine Emotion wie z.B. Anspannung oder Nervosität auf Seiten des Redners darzustellen. Hier müsste er dann zu anderen körpersprachlichen Ausdrucksformen oder auch zu Bildsprache und Metaphern greifen, um beim Leser diesen Eindruck zu erzeugen. Das ist vielleicht oft nicht so leicht wie die Körpersprache, die einem sofort in den Sinn kommt, aber ich finde es einfach seriöser, und es kommt, denke ich, der Qualität der Geschichte sehr zugute.

    Im Hinblick auf die Beschreibung von Körpersprache generell denke ich, dass Körpersprache in den meisten Fällen ein Stilmittel ist, das eher mit der groben Kelle auf emotionale Vorgänge bei Figuren hinweist. Wird die Körpersprache zu differenziert und subtil (wie bei deinem Beispiel mit der Gewichtsverlagerung), eignet sie sich m.E. in der Regel nur für spezielle Figuren, ist aber als Stilmittel für Figuren ohne diesen speziellen Hintergrund und Charakter ungeeignet.


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    Beitrag von Fred Erikson Mo Apr 30, 2018 6:55 pm

    Bei dem Hund Klaus-Peter muss ich an Waldi, den Möter aus Space-Balls denken. Very Happy


    @Gotthelf: Bei den von dir genannten Beispielen stimme ich dir zu. An solche "Autorenblüten" hatte ich gar nicht gedacht. Ich bezog mich eher auf Mimik/Gestik des POV und der Beschreibung durch den Autor, obwohl es dem POV selbst gar nicht auffällt. Da finde ich ein "Augen aufreißen, laut ausatmen, schnauben, etc. pp. nicht zwangsläufig schlimm, auch wenn man das - wie du an dem Koontz-Zitat zeigst - nicht ständig machen muss/sollte.
    Es geht ja v.a. darum, dass man solche körpersprachlichen Aspekte gezielt einbringt, um eine bestimmte Wirkung beim Leser zu erzielen oder zu verstärken. Dies aus Prinzip abzulehnen, weil man das in der Realität vermutlich nicht selbst mitbekommt, wäre eine Beschneidung der Möglichkeiten als Autor.

    Etwas weiter im Text:

    „Weil es einfach ein Knaller ist.“

    Hätte er Roys Gefühle mithilfe geeigneter Körpersprache untermalen können. Warum tut er es nicht?

    Meiner Ansicht nach lässt er es weg, weil es dann nicht mehr zu Colin als Teenager passen würde, wenn ihm jedes kleine Detail auffällt, zumal er von seinem Kumpel gerade etwas überrumpelt wurde.

    Eine denkbare Interpretation. Ich würde (zusätzlich) sagen, dass der Satz für sich genommen - reduziert auf wenige Worte - viel stärker wirkt, weil hier der Kontrast zu den moralischen Vorstellungen des Lesers so groß ist, dass es gar keiner weiteren beschreibenden Worte bedarf.


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    Beitrag von Earl Grey Di Mai 01, 2018 12:51 am

    Zu dem King Zitat: Es ist so gemeint, Stellen zu streichen, die die Geschichte nicht weiterbringen, obwohl man sie mag und ganz sicher nicht, etwas zu streichen, weil man mag. Denn es fällt vermutlich uns allen schwer, uns von geliebten Passagen zu trennen, und man muss, laut King, lernen, es dennoch zu tun, wenn es für die Geschichte notwendig ist.

    Ich sehe das mit der Perspektive nicht so eng. Schreibt man in der ersten Person, muss man sich vermutlich mehr auf die Wahrnehmung des POV beschränken. Da ich diese Perspektvie jedoch nicht nutze, kann ich dazu nicht mehr sagen.
    In der dritten Person sehe ich jedoch kein Problem darin, die Körpersprache des POV oder seines Gegenübers zu beschreiben, auch wenn er sie nicht bewusst wahrnimmt. Es geht ja darum, dem Leser etwas zu vermitteln, nicht seinem Charakter. Natürlich sollte man es nicht übertreiben, wie immer.
    Und natürlich ist es nicht immer angebracht, und manchmal wirkt ein Satz besser ohne (wie in dem Beispiel oben), wenn die Wirkung durch das Gesagte o.a. erzielt wird. Aber es ging ja darum, dass man lieber die Körpersprache beschriebt anstatt zu sagen "Er hatte Angst" oder so, oder?

    Ein Problem, das ich beim Schreiben eher habe, ist, Abwechslung reinzubringen. Ich tue mich mit Show don't tell! etwas schwer, und habe manchmal das Gefühl, in einer billigen Trickkiste zu wühlen.
    In die Kategorie fallen ja auch irgendwie Beschreibungen der körperlichen Reaktionen, also Herzrasen, ein Kloß im Hals, schwitzen usw. (um mal von der klassischen Körpersprache abzuweichen). In meinem letzten Projekt habe ich aus der Sicht eines Vampirs geschrieben, dessen Körper faktisch tot ist. Wenn veränderte Atmung und Herzschlag etc. wegfallen, ist das auf einmal gar nicht mehr so einfach Wie können Figuren für den Leser lebendig werden? - Charakterisierung mithilfe von Wertungen und Kontrastierungen 3402984712


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    Beitrag von Susanne Gavenis Di Mai 01, 2018 1:23 pm

    Interessant. Und welche Körpersprache hast du deinem Vampir verpasst? Und noch spezieller gefragt - welche Gefühle in welchen Situationen hast du mit dieser Körpersprache bei ihm verstärkt?

    @Gotthelf und Fred: Bei dem Roy-Zitat mit dem Knaller könnte ich mir beide Interpretationen vorstellen. So eine einzelne verbale Äußerung, unmittelbar rausgehauen, transportiert im Zweifelsfall Gefühle stärker und beleuchtet den dahinter liegenden Charakter deutlicher, als würde man diesen Satz noch einmal mit Körpersprache näher umschreiben, um ihn intensiver zu machen.

    Ich denke, hierbei kommt es sehr auf den Inhalt des jeweils Gesagten der Figuren an. Roys Knaller-Satz wäre diesbezüglich, denke ich, eine Aussage, die so stark ist, dass sie nicht noch zusätzlicher Körpersprache bedarf, um auf den Leser zu wirken. Ich glaube aber, dass man als Autor bei der Entscheidung, solche Aussagen von Figuren in all ihrer Direktheit so stehen zu lassen, ohne sie noch weiter mit Beschreibungen zu verstärken, Fingerspitzengefühl braucht, weil man ansonsten schnell doch das Gegenteil von dem bewirkt, was man erreichen wollte (nämlich dass die Äußerung der Figur nicht so stark und emotional eindeutig beim Leser ankommt, wie man gedacht hatte).

    Bei dem anderen Roy-Zitat, als Roy ungeduldig etwas sagt, könnte ich mir vorstellen, dass Koontz hier auf die Körpersprache von Roy zugunsten einer höheren Geschwindigkeit des Dialogs verzichtet hat, zumal Roy seine Aussage ja eher am Anfang der Szene macht. Denkbar wäre, dass Koontz hier auf die Indirektheit einer körpersprachlichen Beschreibung verzichtet und stattdessen auf ein Abverb zurückgegriffen hat, um den Einstieg in den Konflikt zwischen Roy und Colin schnell und für den Leser deutlich zu inszenieren. Die nähere Bestimmung von Emotionen und Konflikten mithilfe von Körpersprache hat ja neben der Indirektheit von Körpersprache, die der Leser erst einmal interpretieren muss, den - zumindest kleinen - Nachteil, dass sie ein Stück weit Tempo aus einem Dialog nimmt (wobei es hier wirklich nur um Nuancen geht). Möglicherweise ist das die Erklärung für Koontz' Entscheidung an dieser Stelle.

    Auffällig an der Koontz-Szene ist ohnehin, dass er die Körpersprache insgesamt relativ dezent einsetzt und (ich denke, bewusst) sehr stark auf die unmittelbare Wirkung von Roys Äußerungen auf den Leser baut. An den Stellen, wo er Körpersprache benutzt, hat sie eine klare Verstärkerfunktion für die hinter den Äußerungen liegenden Emotionen, ansonsten aber ist der Dialog über weite Strecken ein rein verbaler Schlagabtausch, der über das, was jeweils gesagt wird, seine Wertungen transportiert. Dass der Dialog trotz der nur an relativ wenigen Stellen verwendeten Körpersprache in meinen Augen gut funktioniert, zeigt m.E., dass Koontz die einzelnen Aussagen von Colin und Roy im Hinblick auf ihre wertende Wirkung auf den Leser sehr geschickt ausgewählt hat.


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    Beitrag von Drachenprinzessin Di Mai 01, 2018 3:15 pm

    Noch mal kurz zu dem Hund: Hier wäre die Frage, ob der Autor um die wahre Identität vom haarigen Hans-Peter ein Geheimnis machen wollte, das er dann vielleicht ganz am Ende sozusagen als witzige und überraschende Pointe gelüftet hätte, oder ob er einfach nicht auf die Idee gekommen ist, dass die Leser Hans-Peter NICHT als Hund erkennen würden, weil es für ihn selbst sonnenklar gewesen ist.
    Ich hatte in meinem Kommentar meine Verwirrung zu Klaus-Peters Identität eingeworfen. In der Antwort zeigte sich der Autor überrascht darüber, dass ich Klaus-Peter nicht sofort und eindeutig als Hund identifiziert hatte; ich kann mich aber nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern.
    War vielleicht doch ein schlechtes Beispiel?

    Um mal etwas zur Körpersprache im Allgemeinen und zum Koontz Zitat im speziellen beitragen zu können: Mir ist über das (ungefähr) letzte Jahr hinweg aufgefallen, dass es mir schwer fällt, die für die Situation/Szene richtige Körpersprache auszuwählen und mich gleichzeitig nicht ständig zu wiederholen (dementsprechend fällt es mir auch schwer hier etwas vernünftiges beizutragen).
    Zum Koontz Zitat: Grundsätzlich mag ich es nicht, wenn der Antagonist so früh so offensichtlich eingeführt wird (jedenfalls scheint es mir offensichtlich genug, denn ich kenne das Buch nicht), allerdings scheint Koontz ganz genau zu wissen, was er tut und wo er den Leser haben will. Auf mich wirkt es so, als sei die Geschwindigkeit des Dialogs in diesem Abschnitt (am Anfang wo Roy ungeduldig nochmal nachfragt) eher zweitrangig, sondern es Koontz wichtiger, Roy's Reaktion für den Leser direkter zu machen - also Adjektiv anstatt Körpersprache.


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    Beitrag von Susanne Gavenis Di Mai 01, 2018 7:01 pm

    Ich habe das Gefühl, dass sich viele Autoren sehr scheuen, einen bestimmten körpersprachlichen Ausdruck wie z.B. Stirnrunzeln, Nicken, den Kopf schütteln, die Fäuste ballen, den Blick senken, etc. mehr als ein- oder zweimal in einer Szene zu verwenden, weil sie denken, dass das ein Zeichen von schlechtem Stil wäre und sie um jeden Preis eine möglichst große Variabilität in ihren körpersprachlichen Beschreibungen haben müssten.

    Wenn ich mir die Romane auch von bekannten Autoren in meinem Bücherregal so anschaue, fällt mir auf, dass sich viele körpersprachliche Basics auch bei ihnen oft wiederholen und vieles an Variabilität über Metaphern und Bildsprache in die Szenen gelangt (z.B. "Er ballte die Fäuste, als sei er kurz davor, laut brüllend aus dem Fenster zu springen", oder "Sie runzelte die Stirn, als sei ihr gerade ein Gedanke gekommen, der zu verwirrend war, um ihn laut auszusprechen" usw.). Das macht in meinen Augen auch Sinn, weil es auch im normalen Alltag ja nicht unendlich viele (bzw. eigentlich ziemlich wenige) körpersprachliche Ausdrucksformen gibt. Wenn man als Autor versucht, in dieser Hinsicht möglichst originell und abwechslungsreich sein zu wollen, gerät man m.E. schnell in die Gefahr, seine Figuren in seinen Szenen verkrampft und unauthentisch handeln zu lassen.

    Ein ähnliches Problem - das aber vermutlich an dieser Stelle zu weit führen würde - ist in meinen Augen die Furcht gerade vieler angehender Autoren vor Wortwiederholungen in ihren Texten. Oft habe ich den Eindruck, dass sie so verzweifelt darum bemüht sind, nur ja nicht in zwei Sätzen dicht hintereinander das Wort "gehen" oder irgendein anderes zu verwenden, dass sie darüber völlig vergessen, auf die m.E. wirklich wichtigen Dinge zu achten - nämlich ihre Texte so zu schreiben, dass man sich als Leser emotional mit den Figuren identifizieren kann und dicht an ihrem Erleben ist. Da sehe ich durchaus Parallelen zu dem "Körpersprache-Problem".


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    Beitrag von Earl Grey Mi Mai 02, 2018 12:54 am

    Im Detail erinnere ich mich nicht mehr an alles. Ich habe den Vergleich angeführt, dass er sich, wäre er noch ein Mensch, jetzt vielleicht übergeben müsste. Er senkt oft den Blick, wenn er unsicher ist, und einmal krallt er seine Finger fest um die Tischkante. Unter anderem wegen des geschilderten Problems habe ich mich dazu entschlossen, sein Herz weiter schlagen zu lassen Wie können Figuren für den Leser lebendig werden? - Charakterisierung mithilfe von Wertungen und Kontrastierungen 3402984712 Es gibt also durchaus Möglichkeiten.

    Ja, die Angst vor der Wiederholung kenne ich von mir selbst. Wobei ich da nicht allzu streng mit mir selbst bin, wenn es um alltäglich Wörter geht. Ich finde es also nicht schlimm, wenn zweimal eine Tür erwähnt wird, und da auch beide Male das Wort "Tür" steht. Fällt ja beim Lesen eigentlich auch niemandem auf. Ich achte bei eher ungewöhnlichen Wörtern darauf, sie nicht zu oft und zu nah beieinander zu wiederholen, vor allem, wenn es um das Beschreiben von Gefühlen geht oder anderer, wichtiger Dinge, die im Fokus stehen. Denn auf die achtet man, und dann fällt die Wiederholung auch auf. Wörter wie "gehen" überliest man ja normalerweise, da sie meistens nicht die zentrale Bedeutung des Satzes tragen. Versteht ihr, was ich meine? Seht ihr das ähnlich?


    Was den Dialog von Koontz angeht: ich finde, dass das, was die Figuren sagen, ausreicht um die Gedanken und Gefühle der Figuren zu zeigen und die Beschreibung der Körpersprache daher nicht notwendig ist.


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    Wie können Figuren für den Leser lebendig werden? - Charakterisierung mithilfe von Wertungen und Kontrastierungen Empty Re: Wie können Figuren für den Leser lebendig werden? - Charakterisierung mithilfe von Wertungen und Kontrastierungen

    Beitrag von Niobea Mi Mai 02, 2018 2:25 pm

    Ich habe auch immer wieder meine Probleme mit körpersprachlicher Darstellung und muss in einem Text schon darauf achten, diese immer wieder mit hineinzunehmen.
    Vor einiger Zeit habe ich mal eine längere Romanszene aus der Sicht eines anderen Gesprächsteilnehmers neu geschrieben - und war total überrascht, wie viele zusätzliche Informationen ich plötzlich auch über meine Protagonistin, aus deren POV ich vorher schrieb, bekam. Unter anderem auch über die Körpersprache. Ich "sah" dadurch, dass sie sich zwischendurch zurücksetzte, mit ihrem Kugelschreiber spielte, ihre Augen zusammenkniff. Und die Person, aus deren POV ich die Szene neu schrieb, fühlte sich unwohl in ihrer Haut, hatte einen Kloß im Hals.

    Diese Übung fand ich total interessant, ich hatte vorher gedacht, dass diese Übung eigentlich völlig überflüssig wäre, aber mittlerweile habe ich sie wiederholt eingesetzt, um meinen Charakteren auch "von außen" näher zu kommen.
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    Beitrag von Susanne Gavenis Mi Mai 02, 2018 5:23 pm

    Das ist eine interessante Übung! Diese Erfahrung habe ich bei meinen eigenen Geschichten auch schon das eine oder andere Mal gemacht. Es ist schon erstaunlich, wie sehr es zuweilen das Denken befreit, aus einer Figur einmal herauszutreten und sie aus der Sicht einer anderen Figur wahrzunehmen. Unabhängig davon, dass einem plötzlich aus einer solchen Außenperspektive Dinge an dieser Figur auffallen können, die man bisher gar nicht auf dem Schirm hatte, kann es auch für die Geschichte selbst sehr bereichernd sein. Gerade wenn man bei einer Szene unschlüssig ist, aus wessen Perspektive man sie schreiben sollte (vielleicht, wenn zwei relativ gleichberechtigte Figuren darin auftreten), kann so ein Wahrnehmungs-Switch ganz erhellend sein und dabei helfen, das Konfliktpotenzial dieser Szene besser auszuloten.

    Bei der körpersprachlichen Variabilität ist mir bei vielen Romanen zudem noch aufgefallen, dass die Autoren Abwechslung in die Körpersprache ihrer Figuren bringen, indem sie sie mit bestimmten Szenendetails verknüpfen und dadurch individueller machen (z.B. "Er wandte sich um und sah aus dem Fenster in den Burghof, wo die Soldaten in ihren schimmernden Rüstungen Aufstellung bezogen hatten" oder "Sie starrte auf die rissige Tischplatte, dann hob sie den Blick, betrachtete beinahe versonnen die Staubkörnchen, die im von draußen hereinfallenden Sonnenlicht vor ihr in der Luft schwebten."). Auch wenn der körpersprachliche Ausdruck der Figuren selbst altbekannt ist, wirkt er auf diese Weise dennoch weniger austauschbar und ist harmonischer mit dem Rest der Szene verwoben.

    @Earl Grey: Bei deiner Sicht auf Wortwiederholungen bin ich komplett deiner Meinung. Wenn eine Figur z.B. gerade am Ertrinken und völlig panisch ist, ist es dem Leser - behaupte ich jetzt mal ganz dreist - völlig wurscht, und er nimmt es nicht einmal wahr, wenn der Autor in dieser für die Figur hochdramatischen Sequenz ein paar Mal in einem Absatz das Wort "Wasser" benutzt, weil der Leser dafür gerade viel zu sehr im Innenleben der Figur ist. Hier als Autor zwanghaft nach Wasser-Synonymen zu suchen, fände ich überflüssig, und es wäre vielleicht sogar kontraproduktiv, weil es den Leser aus dem unmittelbaren Erleben des Moments herausholen würde, würde er merken, dass es dem Autor mehr um variantenreiche Worte für Wasser als um die Emotionen seiner Figur ging. Aber um nicht missverstanden zu werden - ich spreche jetzt nicht von einer offensichtlich restringierten Sprache eines Autors, wie z.B. "Peter fiel ins Wasser. Das Wasser war sehr kalt. Peter schluckte viel Wasser", usw., sondern ich gehe davon aus, dass der Autor sich durchaus einigermaßen ordentlich ausdrücken kann. Ist das nicht der Fall, wären etwaige Wortwiederholungen in seinen Sätzen ohnehin nicht sein größtes Problem, würde ich sagen.


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    Beitrag von Drachenprinzessin Do Mai 03, 2018 1:26 pm

    Um nochmal kurz zum Außenblick auf Figuren zurückzugehen:
    Mir hilft es nicht nur eine (Haupt-)Figur aus der Sichtweise einer anderen Figur zu sehen, sondern auch diese (Haupt-)Figur in eine Geschichte zu setzen, die mit der eigentlichen Geschichte (Roman, KG usw) nichts zu tun hat. Klar mache ich mir am Anfang Notizen und Stichpunkte zu einer Figur (z.B. Lieschen Müller, 21, grüne Augen, braune Haare, 1,75m groß, durch Unfall Arbeitsunfähig), aber für mich reicht das nicht um mich als Autor wirklich in diese Figur reindenken zu können. Dafür muss ich erstmal irgendwelche unwichtigen kürzest Geschichten schreiben. (Macht das Sinn? Wisst ihr was ich meine?)

    Ich hoffe, ich habe damit nicht schon zu schnell zu weit vorgegriffen Wie können Figuren für den Leser lebendig werden? - Charakterisierung mithilfe von Wertungen und Kontrastierungen 1144382489


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    Beitrag von Gotthelf Do Mai 03, 2018 1:31 pm

    Ich mache das eigentlich nie und ich hatte nicht das Gefühl, dass bei mir irgendwas fehlt.

    Allerdings schreibe ich auch sehr viel runter, was meine Charaktere betrifft und meistens schicke ich das noch an Leute, die in ihrer Freizeit Charaktere bewerten, z.B hier:
    http://simplyoriginalcharacters.tumblr.com
    (Wer ein bisschen runterscrollt, findet einen meiner Chars dort Wink)
    Da bekomme ich dann schon einen anderen Blickwinkel auf sie und wenn ich dann noch nicht zufrieden bin, habe ich noch RL Freunde, mit denen ich mich darüber austauschen kann.


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    Beitrag von Niobea Do Mai 03, 2018 2:42 pm

    Gotthelf schrieb:
    Allerdings schreibe ich auch sehr viel runter, was meine Charaktere betrifft und meistens schicke ich das noch an Leute, die in ihrer Freizeit Charaktere bewerten, z.B hier:
    http://simplyoriginalcharacters.tumblr.com

    Ich kannte die Seite bislang gar nicht - danke für den link.

    @Drachenprinzessin: Ich schreibe auch immer einige Episoden über meine Hauptcharaktere, die später nicht im Buch auftauchen, aber mir einen besseren Eindruck von den Personen zu geben.

    Und ich spreche auch mit Freunden im RL über die Charaktere.

    Ein Beispiel: Ich hatte für ein Projekt über Jahre immer mal Szenen geschrieben, irgendwann stellte ich die zusammen, entwickelte daraus einen Plot - und dann wollte meine Protagonistin nicht mehr mitspielen. Ich hatte die ganze Zeit gedacht, sie sei eine Draufgängerin - Pustekuchen, sie wollte ein festes Zuhause, Frau und Kinder ... - das bedeutete, dass ich das Projekt nicht weiterschreiben konnte.
    Fazit: ich stecke viel mehr Zeit in die Figurenentwicklung, werde mir jetzt auch mal Gedanken über ihre Körperhaltung in Gesprächen machen - ich denke, dass das schon vorab hilfreich sein kann.
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    Beitrag von Fred Erikson Do Mai 03, 2018 3:02 pm

    Ich schreibe auch nix zu Figuren, was später nicht im Roman auftauchen soll. Das Figuren ein Eigenleben entwickeln kenne ich nicht - nicht mal im Ansatz. Ich behaupte, das liegt an zwei Dingen.
    1. Ich plotte explizit jede Szene, bevor ich mit dem Schreiben beginne.
    2. Mich interessieren meine Charaktere nur im Zusammenhang mit dem Plot. Sie dienen einzig dazu, eine spannende Geschichte rund um den Plot aufzubauen.

    2. Kann man natürlich nur umsetzen, wenn man einen äußeren Plot fährt - dazu kommen wir ja noch.
    Aber plotten kann jeder. Ich behaupte mal, die meisten wollen halt nicht, weil es in den Fingern juckt, endlich mit dem "richtigen Schreiben" loszulegen. Kann ich nachvollziehen, führt aber dazu, dass die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass
    a) die Figuren nicht zum Plot passen ("wollen");
    b) die Überarbeitung sehr viel aufwändiger wird, weil man ja kaum Andeutungen, Rätsel, wiederkehrende Elemente o.ä. sinnvoll einbauen kann, wenn man gar nicht weiß, wo man im Finale mal steht;
    c) weniger Spannung/Suspense vorhanden sind, bzw. die Spannungskurve weniger optimal verläuft.

    Natürlich will ich jetzt nicht behaupten, dass man nicht trotzdem einen guten Roman schreiben kann. Meine Hochachtung vor denen, deren Gespür/Erfahrung so groß ist, dass sie nicht detailliert plotten müssen, um atmosphärisch dichte, spannende, komplexe und wendungsreiche Geschichten zu schreiben. Ich selbst könnte das nicht ohne plotten. (Ob es mit plotten geht, wird sich zeigen.  affraid )


    Edit: Damit will ich aber auf keinen Fall diese Schreibübung (passt der Ausdruck?) schlechtreden. Gerade bei inneren Plots ist es natürlich extrem wichtig seinen Prota genau zu kennen und die Möglichkeiten seines Verhaltens und seiner Entwicklung auszuloten oder ihn in moralische Zwickmühlen zu schreiben.


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