»He du, pass doh auf!« Ardian hatte nicht gemerkt, dass sein Vormann abrupt zum Stehen kam und war unsampft gegen ihn gerempelt.
»Entschuldigung, Herr«, antwortete er heiser und kaum hörbar und zog seine Kapuze noch tiefer ins Gesicht. Unter keinen Umständen durften die Leute seine zwei verschiedenen Augenfarben erkennen, sonst gab es Ärger. Sein Herr hatte ihm immer erzählt, dass die Inquisition solche wie ihn verbrannten, wenn sie sie schnappten. Er wollte nicht verbrannt werden.
»Ach, steck' dir deine Entschuldigung doch sonst wo hin!«
Ardians Finger krallten sich noch fester um den Brief in seinen Händen. Er war sein Anker in einem Meer aus Feindseligkeit, er trug das Siegel seines Herrn und war seine Genehmigung hier zu sein.
»Den bringst du dem Metzger an der Hauptstraße. Du erkennst sein Haus an der blutroten Fassade, und jetzt mach, dass du wegkommst!«, hatte sein Herr ihm aufgetragen. Ardian musste oft Botengänge für ihn erledigen. Er vermutete, dass es damit zusammenhing, dass er die Nachrichten nicht heimlich lesen konnte; Schriftzeichen waren für ihn nämlich nur fremde Symbole ohne Sinn und Zusammenhang. Sein Herr vertraute nicht vielen Leuten.
Aber so weit war Ardian noch nie gereist.
Hier war einfach alles anders. Die Menschen hier waren anders. Sie trugen andere Sachen, sprachen anders. Einige stießen gar seltsame Laute aus, die Ardian üerhaupt nicht verstand, aber es wikte so, als hätten die Leute eine lebhafte Unterhaltung. Einige fragten ihn unverblümt nach Almosen, einfach so. Wie konnte man etwas verlangen, ohne dafür zu arbeiten? Und an beinahe jeder Ecke sah er zusammengesunkene Gestalten hustend im Dreck seitzen, die Gesichter von schwarzen Pocken übersäht. Im Dorf sagte man ihm, dass er und seinesgleichen dafür verantwortlich sei. Ardian wusste nicht genau, ob es nun Humbug war, oder ob er sich schämen sollte.
»Ihr da! Was wäret ihr denn für ein Bürger, wenn ihr euch dieses Angebot auf dieses wundersame Zeitmessgerät entgehen lassen würdet? Kommt näher, kommt näher, es kostet euch - ganz exklusiv - auch nur 20 Dublonen - und ich sage Euch, das Angebot mache ich nicht jedem!«
Verwundert drehte Ardian sich um. Dieser Mann dort, hatte ohne Zweifel ihn angesprochen - einfach so! Wiie sollte er denn nun reagieren? Er hielt ihm irgendein tickendes Ding baumelnd vor die Nase.
»Was ist das?«
»Das, mein lieber Herr, ist die Zukunft! Es vermag Euch zu sagen, ob es Tag, oder Nacht ist - und noch vieles mehr! Sehet doch nur diese feingliedrige Mechanik! Für Euch nur 15 Dublonen!«
15 Dublonen hatte Ardian in seinem ganzen Leben nicht gesehen. Solch eine Unsumme könnte wahrscheinlich nicht einmmal sein Herr bezahlen und Ardian selbst hatte gar kein Geld bei sich. Man hatte ihm verboten welches zu besitzen. Und von dem, was der Mann ihm so begeistert erzählte, verstand er überhaupt nichts, obwohl er verblüfft angesichts der Freundlichkeit des Mannes war. Er musste doch nur in den Himmel schauen und wusste, ob es Tag, oder Nacht war.
Viel interessanter fand er einen kleinen Schatten hinter dem Käufer, der sich bei näherem Hinschauen als Mensch entpuppte. Durch die figurbetonte Kleidung ahnte er, dass es sich um ein Mädchen handeln musste. Unter ihrem Kapuzenmantel konnte er ihr Gesicht nicht erkennen, aber eine Haarsträhne fiel aus ihm heraus, in der Farbe des Nachthimmels! So etwas hatte Ardian noch nie gesehen.
Aber halt! Was machte sie denn da? Leise nahm sie sich wertvoll aussehende Sachen, die ganz bestimmt dem netten Herren gehörten, und ließ sie unter ihrem Mantel verschwinden - sie stahl sie! Das würde mächtigen Ärger geben, falls sie erwischt wurde und plötzlich hatte Ardian das Bedürfnis das Mädchen vor ihrer Tat zu warnen.
»Ein geheimnisvoller Abenteurer brachte mir dieses Stück und berichtete, er habe es von den sagenhaften Twergons erbeutet! Für Euch kostet es nur läppische 10 Dublonen!«
Der nette Herr hatte sich schon jemand Anderem zugewendet, als er merkte, dass Ardian sich nicht mehr für ihn interessierte. Also schlich auch er um ihn herum und zischte in Richtung des Mädchens:
»Hey, du da! Bist du wahnsinnig? Wenn man dich dabei entdeckt, dann wird man dich aufknüpfen!«
Er wollte ihr das nächste Teil aus der Hand reißen, aber ihr Griff verhärtete sich und sie fuhr zu ihm herum.