2. Akt - Im Jadereich

Kaebjorg betrachtete den grauen Stein, hielt ihn gegen das Licht. Hmm, da war nichts besonderes. Er roch nach Stein und schmeckte nach Stein, jedoch hatte kam er nicht so häufig in den Narimbergen vor. Aber gesehen hatte er diese schon einmal. Sie wurden damals verkauft, an Zauberwirker. Aber wozu diese die brauchten, entzog sich seiner Kenntnis.

Lylla kam völlig außer Atem vor dem Gasthaus an und fragte sich, warum sie so gerannt war. Da war kein Karren, keine ekelhaften Leichen, nichts. Sie stieß die alte Tür auf. Durch den erlittenen Schrecken kam sie ihr so bekannt vor, als habe sie jahrelang im Gasthof gelebt. Kaebjorg stand in Gedanken versunken da, sinnend einen Stein betrachtend. Lylla hielt inne, um die Szene zu genießen. Goldenes Licht erhellte seine Brauen und seinen Bart, die zusammengekniffenen Augen und Poren des Steins. Lylla schürzte die Lippen und ging sich leise zu Raya, Valeska und Ava gesellen. Während sie sich vorsichtig auf eine Bank herabließ, achtete sie darauf, dass ihre Hände nicht zu nah an die kaltgeschmiedete Klinge auf dem Tisch kamen. Seit der Überfahrt hatte ihr Leiden, das Metall betraf, nachgelassen, und sie hatte es fast vergessen. Jetzt aber fühlten sich ihre Knöchel wie erfroren, bereits beim Anblick der Klinge. Und das andere schwarze, hässliche Ding wollte sie nicht mal mit Blicken berühren. Sie nahm einen der Stäbe und schüttelte ihn vorsichtig.

Auch Andrel erreichte jetzt wieder das Gasthaus.

"Gute Nachrichten", sagte er, als er zu den anderen trat. "Die Götter gewähren uns Unterkunft. Und ihr Diener ebenfalls. Er wird sich auch darum kümmern, diese ... Kreaturen Eldors Gnade zu überantworten. Wir müssen sie nur zum Götterhaus schaffen."

"Wenn jetzt wieder alle da sind, dann könnten sich doch die Fachkundigen unter uns diese Magierechse noch einmal ansehen", meldete sich Valeska zu Wort und warf einen prüfenden Blick auf die Echse. Deren Schuppen hatten eine graue Färbung angenommen und schillerten nicht mehr. Die war schon bald toter als tot. "Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihr Auftraggeber verflucht hat oder so etwas, damit sie nichts ausplaudern kann, was uns nützt. Kann man das noch feststellen? Das Vieh ist mir zu abrupt gestorben und es sah so aus, als wollte es gerade etwas Entscheidendes sagen."

Ava, die jetzt neben Valeska stand, wurde klar, dass sie einiges verpasst hatte. Sie sah Valeska fragend an: "Was ist eigentlich hier passiert, nachdem ich eingeschlafen bin?" Sie hoffte, das nichts Schlimmes mehr passiert war, aber an alles, was passiert war, nachdem sie ins Gasthaus gekommen war, verschwamm in ihren Erinnerungen.

"Mm", brummte Kaebjorg in Valeskas Richtung. "Ich kann mit dem Stein nix anfangen. Hab sowas aber mal auf 'nem Markt gesehn, könnte magisch sein."
Er schnippte den Stein von einer Hand in die andere. "Raya, willst ihn dir mal ansehn?"

Dann waren auch Lylla und Andrel wieder zurück und die Toten waren nicht mehr länger ihr Problem.
"Wenn ihr fertig seid, schaff ich die Schuppenfressen gern weg."

"Ich helf dir dann nachher, Kaebjorg. Schließlich bin ich für die Leiche hier verantwortlich", sagte Valeska und zu Ava gewandt: "Wir haben diesen Magier hier gefangen genommen und ich habe versucht ihn zu befragen. Auskünfte über die Hintergründe des Angriffs wären wichtig für uns. Ich habe ihm Übles angedroht und in dem Moment, als er antworten wollte, bekam er Krämpfe und ist gestorben. Zuvor hat er etwas über einen Chan gesagt, der ein grünes Tier will, und über einen grünen Mond. Ein Jäger kam auch vor - glaube ich. Es hat bestimmt etwas mit dem Tagebuch und den Träumen zu tun, die uns ab und zu überfallen. Es ist alles sehr geheimnisvoll und nun wissen wir genauso wenig wie zuvor. Andrej meint, wir müssen in den Jadetempel, um herauszufinden, was es mit dieser grünen Seuche auf sich hat." Puh, das war aber eine lange Rede. So viel rede ich sonst in einer Woche. Hoffentlich habe ich nichts Wesentliches vergessen, dachte Valeska. Besser ich sage ihr nichts, über unseren angedrohten Tod. Ich will sie nicht erschrecken, so kurz nach ihrer Genesung.

Verwirrt aber dankbar lächelte Ava. An Valeska gewandt meinte sie: "Danke für dir Zusammenfassung. Klingt echt gruselig."

Andrel musterte den toten Gegner. "Deine Beunruhigung ist sicherlich gerechtfertigt", sagte er an Valeska gewandt, "doch ich kenne die Physiologie dieser Wesen nicht. Ich kann mir den Khof'Ghot ansehen, doch ich fürchte, ich kann nichts erkennen. Und um den Leichnam genauer zu ... untersuchen, fehlen mir sowohl der geeignete Raum als auch das Werkzeug."
Er wandte sich an Raya, obgleich auch Kaebjorg ihr eine Frage gestellt hatte. Sie würde entscheiden müssen, welches Anliegen ihr wichtiger erschien. "Du hast Schlimmes gesehen, als du diese ... Hand berührt hast, und ich bin sicher, dass niemand von uns möchte, dass dir etwas noch Ärgeres widerfährt, doch Valeska hat recht. Wir müssen mehr über unsere Angreifer erfahren. Wenn du deine Magie für uns einsetzen willst, unterstütze ich dich. Diesmal bin ich auf das, was geschehen kann, besser vorbereitet."

Trüb und blind starrte Andrel das Auge des Khof'Ghot an, in das ihm der Narimbrand getröpfelt wurde.

Andrel schien es plötzlich, als strichen Finger über sein Rückgrat, Finger mit langen Krallen, die nur noch die richtige Stelle suchten, um sich in seinen Körper zu graben und ihm die Seele zu entreißen.
Gütige Herrin Dorana, flehte er stumm, hilf mir, dem grünen Sog zu trotzen und meinen Freunden beizustehen! Schenke mir die Weisheit, die Gefahr zu erkennen, wenn ich sie sehe, und gewähre mir die Kraft, mich ihr entgegenzustellen!

Quendi war knapp hinter Lyall zurück in die Taverne geschlüpft. Sie lauschte Valeskas Zusammenfassung und war erleichtert Ava wohl auf zu sehen.
Quendi allerdings, praktisch veranlagt wie sie nun mal war, hatte leider nichts wirklich produktives zu dem Ganzen beizutragen. Also widmente sie sich den Utensilien, die sie den Leichen der Feinde abgenommen hatten.

Die Kugel mit dem roten Knopf und die 5 Stäbe legte sie sich beiseite.
"Wenn ihr nichts dagegen habt, behalte ich das hier.", sagte sie an die Gruppe gewandt und nahm das allgemeine Schweigen als Zustimmung wahr.

Als Andrel das Gasthaus betrat, spürte sie die erwartende Spannung der anderen. Jeder erhoffte sich, dass der Heiler etwas Licht ins Dunkel über das plötzliche Ableben der Echse bringen konnte. Auch Quendi war neugierig und beobachtete Andrel, der die Echse bereits zu untersuchen begann.

Raya überlegt kurz, doch bedacht. Sie nahm eine der Fläschchen aus der Tasche, betrachtete die Flüssigkeit und sagte dann schon fast wie in Trance, "Bei dem, was ich vorhabe, brauche ich ganz sicher deine Hilfe, es ist etwas verwegen, wenn nicht lebensbedrohlich. Ich meine zu verstehen, wozu die Flüssigkeit gedacht ist. Mit ihr und meinem Lichtwirken kann ich wohl klar und deutlich die Motivation der Echsen entschlüsseln."
Sie wandte sich erklärend an die anderen. "Die Flüssigkeit ist sowas wie ein Zaubertrank, das genaue Gegenteil von Alkohol, nicht die Sinne trübend, sondern erhellend. So eine Art Droge. Andrel, du musst mir jedoch helfen, wieder von dem Gefühl herunterzukommen. Zu viel Wissen auf einmal kann meist Geist bestimmt nicht verkraften."

Sie öffnetedas Fläschchen und trank.

Und Raya verschwand vor den Augen der anderen.

Raya setzte das Fläschchen ab. Sie wartete, ob das erwartete Gefühl einsetzte. Als sie noch nichts spürte, legte sie die Habd auf die Stirn der Echse und schloss die Augen.

Ava starrte erschrocken auf die Stelle, an der Raya gerade noch gestanden hatte. Vor Schreck fehlten ihr die Worte, also schaute sie bloß weiter verwirrt und ängstlich.. Hoffentlich ging es Raya gut. Von Verschwinden hat sie aber gerade nichts gesagt. Oder? Die Unberechenbarkeit von Magie war einer der Gründe, weshalb sie dieser eher ablehnend gegenüberstand.

"Wo is' sie hin?" Valeska starrte wie hypnotisiert auf die Stelle, an der Raya gerade noch gestanden hatte. "Ich hätte meinen Mund halten und das Vieh mit Kaebjorg raustragen sollen. Wenn sie jetzt tot ist, ist das meine Schuld. Magie ist einfach zu gefährlich für normal Sterbliche.", brabbelte sie vor sich hin.

Das Gegenteil von Alkohol? Diese Vorstellung ließ Kaebjorg erschaudern. Sowas konnte es nicht geben! Und überhaupt ... Was hatte sie da gerade gesagt?
"Raya, von Alkohol haste ja gar keine Ahnung! Wir Gidwerg sin' ein sehr scharfsinniges Volk! Was meinste wärn wir ohne unser Bier un' den Narimbrand? Da werden die Lebensgeister erst richtig wach! Wer stumpfsinnig vom Trinken wird, is bloß kein richtiger Kerl. Also, das Zeug hier rühr ich ..."
In diesem Moment löste Raya sich in Luft auf. Er sah das leere Fläschchen noch wie von Geisterhand zum Tisch schweben, dann rührte sich nichts mehr.
"Was beim Barte der Großen Mutter ...!"
Kaebjorg handelte sofort. Er griff nach seinem Hammus und zerschlug das Fläschchen zu einem Haufen Scherben.
"Raya, wo biste nur? --- Habt ihr das gesehn? Es hat sich bewegt, wie der Spokion! Aber jetz isses hinüber."

Raya bemerkte wohl, dass die anderen merkwürdig reagierten. Als sie die Echse berührte, durch floss ein Strom von Magie ihren Körper. Ihre Hand, die die Echse berührte, begann zu leuchten, dann brach eine grelle Lichtflut in den Raum. Raya musste die Augen schließen, dann spürte sie Bilder in ihrem Kopf. Fremdartige Gedanken, dann sah sie ihre Gruppe aus fremden Augen, ein Tropfen einer bläulichen Flüssigkeit, die auf das Auge des Khof'ghot hineinfiel. Brennender Schmerz erfasste Raya, der sich in ihrem Körper rasend schnell ausbreitete, dann verschlug es ihr fast den Atem, ihr Körper verkrampfte, begann zu zucken. Ein lauter Schrei entfuhr ihr. Dann erlöschte das Licht und die Vision. Raya sackte zusammen.

Während die anderen sich noch verdutzt nach Raya umschauten, begann eine Stelle am Kopf des Khof'Ghot zu leuchten. Das Licht wurde immer greller, ihr konntet noch Raya erkennen, die aus dem Nichts erschien. Dann musstet ihr sie Augen schließen. Ein Schrei erklang. Die Stimme war euch bekannt, er gehörte zu der jungen Lichtwirkerin. Dann wurde es still - und wieder dunkel.

Valeska blinzelte erschrocken. Was war denn jetzt schon wieder passiert? Als sie wieder ein wenig erkennen konnte, erblickte sie Rya auf dem Boden. Schnell kniete sie sich neben die Lichtwirkerin und berührte sie vorsichtig an der Schulter. "Raya? Geht es dir gut?"

"Raya!" Andrel sprang vor, doch in diesem Moment explodierte ein Stern über dem Khof'Ghot. Das gleißende Licht trieb Andrel die Tränen in die Augen, obschon er den Arm vors Gesicht gerissen hatte.
Nur einen Atemzug später verlosch das Licht. Weiße und schwarze Punkte kreisten auf übelkeiterregende Weise vor seinen Augen, teilten sich, tanzten ... Während die weißen Punkte sich in der Mitte seines Sichtfeldes sammelten und wieder zerstoben, schienen sich die schwarzen Punkte an einer Stelle zu konzentrieren ...
Andrel zwinkerte angestrengt, versuchte, die Punkte zu vertreiben. Was war mit der Lichtwirkerin geschehen? Das Licht, der Schrei ... und wieder hatte er ihr nicht beistehen können, weil sie gehandelt hatte, ohne recht nachzudenken!
Die weißen Punkte schrumpften und trieben nur noch träge umher, zurück blieb die Schwärze. Vor seinen Füßen schien sie dichter zu sein ... Er ging in die Knie, tastete blind. Er spürte Haar unter seinen Fingern, eine Stirn, eine Nase, schmale Wangen ... kein Zweifel, dies musste Raya sein! Er spürte ihren Atem an seiner Hand, tastete sich zu ihrer Schulter und rüttelte sie sanft.
"Raya? Gütige Dorana, Raya! Kannst du mich hören?"

Ava stand erstarrt da. Erst als sie Valeska und Andrel hörte, begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten. Hatte sie in dem grellen Licht, welches für ihre kurzzeitige Blindheit verantwortlich war, nicht Raya gesehen? Ava hoffte, das Andrel ihr helfen konnte. Bestimmt würde Andrel ihr helfen können! Aber Ava könnte das nicht. Also stand sie weiter nur so da.

Ray hörte Ihren Namen. Die Stimmen kannte sie . Als sie die Augen öffnete, war alles schwarz, doch sie merkte, dass Andrel sie hielt.
Sie wollte etwas sagen, aber ihre Stimme versagte noch. Also packte sie einfach Andrels Hände, die an seinen Schultern lagen und drückte ein Zeichen gebend zu.

"Was beim Schlüsselmacher!", entfuhr es Quendi, als die Lichtwirkerin sich vor ihr plötzlich in Luft auflöste. Doch bevor der scharfe Verstand der Tüftlerin nur annährend dazu kam darüber nachzudenken was passiert war, explodierte ein greller Lichtschein im Raum.
Quendi kniff die Augen zusammen und verzog ihr Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse. Sie fühlte sich für einen Moment so, als würde sie erblinden. Das Fluchen der anderen deutete ihr, dass es ihnen nicht viel besser ging.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wieder verschwommene Konturen erkennen konnte. Raya war wieder aufgetaucht und kauerte auf dem Boden. Andrel kniete bereits neben ihr.
"Gehts allen gut?", fiebste sie aufgeregt.