2. Akt - Im Jadereich

Nachdem er nichts Verdächtiges entdeckt hatte, folgte Kaebjorg den anderen in die Halle, wo sie sich bereits um den Tisch gruppiert hatten, auf dem die Hand nun lag. Andrel fingerte an ihr herum - typisch! Andererseits, es war nur totes Fleisch, oder?
"Und, is hier noch was zu retten?", versuchte er einen Scherz und stellte sich dazu. Da kam ihm ein Geistesblitz: "Grün is sie aber nich, oder?" Vielleicht hatte ja jemand versucht, sich von dieser komischen Grünlingskrankheit zu heilen, indem er sich selbst die Hand abhackte. Andererseits, wieso hätte er sie dann an die Tür des Magierhauses spießen sollen?

Während sie die anderen um den Tisch scharten, auf dem Andrel die Hand fachmännisch untersuchte, trat Lylla auf den Gang.
"Herr Esondril", rief sie laut, "bitte kommt, Euch das anzusehen! Edler Ares'Valure! Es ist von höchster Wichtigkeit!" Befriedigt lauschte sie den Echos nach, die ihre Stimme verursacht hatte. Irgendwo summte noch eine Sekunde später ein Gegenstand aus Metall. Ach, könnte man doch alle Probleme auf der Welt einfach wegsingen! Aber ihr Ekel war derart, dass sie sich nicht in die Nähe des Tisches wagte.

Bei Dorana, mit dieser grünen Bedrohung war nicht zu spaßen! Kaebjorg machte sich zu Recht Sorgen. Doch etwas Grünes hatte Andrel nicht entdecken können - weder am Stumpf noch zwischen den Fingern oder gar unter den Fingernägeln. Die Haut hatte sich zu einem hellen Graublau verfärbt - nichts ungewöhnliches bei etwas Totem.
"Nicht grün", antwortete er.

Da keiner der Gastgeber zu ihnen stieß, ging Raya zögernd zu Andrel.
"Andrel, wir hatten doch alle diesen Traum. Nicht nur den von dem alten Mann. Auch den von der Hand, oder? Ich glaube ich kenne da einen Zauber wie wir Licht in das ganze bringen könnten. Ich glaube nur nicht, dass ich das alleine schaffe. Ich habe nicht genug Kraft dafür."

Die Menschenfrau wollte mit Andrej zusammen einen Zauber versuchen. Das klang spannend. Valeska hatte noch nie gesehen, wie Magie gewirkt wurde. Das wollte sie doch genauer sehen. Sie trat wieder näher an den Tisch heran.

Auch Ava überwand ihren Ekel und kam neugierig näher.

"Ich will es gerne versuchen", sagte Andrel mit gerunzelten Brauen, "aber ich bin nicht sicher, wie ich dir helfen kann. Schließlich bin ich kein Magier. Aber wenn du einen Weg kennst, mit dem du dir meine Kräfte nutzbar machen kannst, so helfe ich dir, so gut ich kann."

Raya errötete leicht.

Nun ja, du musst nur meine Hand nehmen, um mich zu erden.

Andrel ergriff die schmale, kühle Hand Rayas.

Valeska beobachtete mit einem Stirnrunzeln, wie sich die beiden an der Hand nahmen. Ging da etwas zwischen den beiden vor, was sie nicht verstand? Es versetzte ihr einen kleinen Stich direkt neben dem Herzen. Sei nicht albern, schalt sie sich. Er hat mit keiner einzigen Geste kenntlich gemacht, dass er mehr als freundliches Interesse an dir hegt, seit er das Gold für deine Freilassung bezahlt hat. Trotz allem schmerzte die Erkenntnis, die sie bisher so erfolgreich verdrängt hatte: Ihre heimliche Schwärmerei für den Ellyl würde keine Früchte tragen.

Raya seufzte. Sie runzelte die Stirn in der Erinnerung wie sie nun vorgehen musste. Sie spürte noch einmal die warme Hand von Andrel nach und griff etwas fester zu. Dann schloss sie die Augen.

"Dorana, Urmutter über das Sein, gib mir die Kraft, die mir das Licht weist. Halte mich in deinen Armen und zeige mir!
Eldorai, Herr über die Zeit, schenke mir die Einsicht über unsere Fragen und führe mich zurück!"

Sie murmelte noch ein paar Worte, die nur Andrel neben ihr hören konnte und ergriff die leblose Hand auf dem Tisch.

Wie ein Blitz ging es durch ihren Körper. Sie hatte nun keine Kontrolle mehr.

In grellem Licht sah sie die Hand am Tor, sie wurde abgezogen von einer schuppigen Hand, der Stich schloss sich, sie hing an einer Tasche herunter, es glitzerte grell um sie herum.
Das Bild waberte, im Hintergrund waren nur Schemen der Landschaft zu erkennen.

"Aaaaaaaargggghhhh" Raya schrie laut auf als sie den Moment, in dem die Hand abgehakt wurde, miterlebte. Nun sah sie, zu wem diese gehörte.

"Der Naturmagier, Xa..Xa..."

Es schwindelte ihr, da spürte sie die Hand von Andrel und riss sich aus der Vision. Mit einem Lichtblitz kehrte ihr Geist zurück in ihren Körper. Dabei stolperte sie nach hinten und fiel. Fragend schaute sie zu Andrel hoch. "Da war ein Svarth'Alv und vier Khof'Ghot."

Als Raya begann zu schreien, zuckte Ava überrascht zusammen. Was tat sie da? Dann sagte sie etwas von einem Naturmagier. Wer das wohl war? Vielleicht sollte sie einfach fragen. Wie ihr Bruder zu sagen pflegte: Wer nicht fragt, lernt nicht dazu. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte: "Geht es dir gut? Was hast du herausgefunden?"

Ray rappelte sich wieder auf und strich sich ihr Kleid zurecht. Sie drehte sich zu Ava, blickte aber alle einmal kurz an.

"Leider haben ein paar Kreaturen den Naturmagier, der fast unser Gefährte, ja sogar unser Führer durch diese Gegend hier geworden wäre, gefangen und ihm diese Hand hier abgehackt. Als Warnung an uns."

Nach einer kurzen Pause sagte sie: "Ich glaube er ist noch am Leben."

"Wieviel wissen wir über diese Echsenkreaturen und die Svarth'Alv?" Raya blickte hoffnungsvoll in Kaebjorgs Richtung.

Dass dieser Zauber solch heftige Auswirkungen haben würde, hatte Andrel nicht vermutet. Er konnte Rayas Sturz nicht verhindern. Doch die junge Frau rappelte sich sofort wieder auf.
Der schweigsame Einsiedler, der den Edlen Valure in den Kerker begleitet hatte - welch grausames Schicksal!
Stumm betete er zu Dorana um das Leben des Naturmagiers, während Raya nach den Kreaturen fragte, die sie gesehen hatte.

Was war das nun wieder für eine Idee? Ein Zauber, für den man Händchen halten musste? Kaebjorg trat vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Ihm reichte noch die Erinnerung an diesen Zaubersänger auf dem Luftschiff, der eine so seltsame Vision erzeugt hatte, dass er seine Suppe verschüttet hatte ... und das auch noch direkt über Quendi.
Moment mal ... ein Zaubersänger, der Visionen schickte? Warum nicht auch Träume? Dass er daran nicht schon früher gedacht hatte! "He, Quendi!", rief er der Pygmaei zu. "Erinnerste dich noch, auf dem Schiff? Da war dieser ... -"


Da wurde er jäh von einem schrillen Schrei Rayas unterbrochen. Nachdem sie irgendetwas gefaselt hatte, bekam sie sich wieder in die Gewalt und berichtete. Xendevitas Hand war das also! Kaebjorg bekam auf der Stelle eine Gänsehaut.
Dann erwähnte Raya die Khof'Ghot. Aha, diese Mistkröten waren das also gewesen!
"Die Hand soll uns warnen? Ham ihn wahrscheinlich beim Medulieren überfalln, die Feiglinge. Ich lass mir jednfalls nich von ner Schuppenfresse irgendwas abhacken! Hab schon oft gegen die gekämpft." Er klopfte auf seine Armbrust. "Lästig, das sind se, wie Muscheln am Ruder, aber das is auch alles. Nur 'n Svarth'Alv is mir noch nie begegnet. Aber die laufen auch nich grade auf der Straße rum wie du un ich."

Ava überlegte. Svarth'Alv und Khof'Ghot zusammen? Waren die etwa in der Steppe? Wie schnell konnten die reisen? Und was hatte der Gidwerg von einem Schiff gemeint? So viele Fragen und hoffentlich bald ein paar Antworten. Sie sah Raya an und fragte: "Hast du gesehen wo das war?"Dann drehte sie sich zu Kaebjorg und fragte ihn: "Was meintest du gerade von einem Schiff?" Schließlich stellte sie noch die letzte Frage, die ihr durch den Kopf ging, in die Runde: "Hat jemand eine Idee was ein Svarth'Alv und vier Khof'Ghot mit uns zu tun haben und was die zusammen machen?" Jetzt konnte sie nur noch auf Antworten warten.

"Naja, ich bin 'n Seefahrer, und die Khof'Ghot greifen gern mal Schiffe an. Auf dem Naram ham sie uns schon oft überfalln, da in der Nähe hausen sie nämlich. Tun, als ob es ihr Fluss wäre. Pah!" Kaebjorg kratzte sich im Bart. "Was die hier tun, frag ich mich auch. Vielleicht Jade stehlen für den Svarth'Alv? Im Tempel oben? Keine Ahnung. Wer kann schon in den Kopf von ner Schuppenfresse schaun?!"

Nachdem Kaebjorg geantwortet hatte, überlegte Ava nochmal. Dann fragte sie ihn: "Danke für die ausführliche Antwort. Ich meinte allerdings das Schiff von dem du geredet hast bevor Raya etwas gesehen hat. Was meintest du da mit: Erinnerste dich noch, auf dem Schiff? Da war dieser ... ?"

Bald kam Esondril mit Ares'Valure zurück und betrachtete den unheimlichen Fund.
"Das sind sehr erschreckende Entwicklungen. Das zeigt mir, dass die Aufgabe sehr wichtig ist. Wir werden uns um den Besitzer der Hand kümmern und auch um die, die das verursacht haben. Ihr solltet euch jedoch nicht mehr lange hier aufhalten, damit ihr nicht weiter in Gefahr kommt."

Der Edle überreichte euch einen Beutel. Darin waren 5 Kugeln enthalten, die in eine Hand passten und einen kleinen Stift daran hatten. "Ihr müsst diesen Stift einfach abknicken und dann einer Gruppe von Gegnern entgegenwerfen. Das kann ich euch zu eurer Verteidigung noch mitgeben." Sein Blick streifte über eure Gruppe, blieb an Raya hängen und sagt zu ihr. "Für dich ist das jedoch nichts. Sie könnten dir Unwohlsein bereiten."

Ava hörte dem Edlen aufmerksam zu. Diese Kugeln waren nichts für sie. Sie verließ sich lieber auf ihren Bogen, von dem sie wusste wie er funktioniert. Als sie sich an die Maultiere im Hof erinnerte, hatte sie noch eine Frage. "Darf ich noch mein Pony holen, bevor wir aufbrechen?", fragend sah sie in die Runde.

"Ach, das Luftschiff meinste!", sagte Kaebjorg zu Ava. "Da war so 'n Zaubersänger an Bord. Hat uns Visionen beschert, am helllichten Tag! Hat mich an unsern Traum heut Nacht erinnert. Ob das auch 'n Zauberbarde war?" Fragend sah er in die Runde.
"Dein Pony kannste übrings nich mitnehmen, Ava. Zu steinig, der Weg. Musste meins auch dalassen, drüben in der Garnison."
Und was waren das schon wieder für Kugeln? Komisches Zeug. War das jetzt Magie oder eher Quendi-Kram?

Ava erschrak. Ihr Pony nicht mitnehmen? Das war unmöglich. Das würde sie sich nicht verbieten lassen. Also antwortete sie: "Von Zauberei habe ich nicht viel Ahnung, da weiß ich nichts. Aber mein Pony nehme ich mit, das ist ein Geländepony. Zu steinig gibts für sie nicht."

Valeska hatte der Diskussion schweigend gelauscht. Dem Naturmagier hatte die Hand also gehört. Das mussten ja grausame Wesen sein, die mal einfach so zur Warnung einen Unterarm abhackten. Von den Wesen, die das getan haben sollten, hatte sie schon gehört. Mit denen wollte sie eigentlich nichts zu tun haben. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, von dem Vladimir dauernd gesprochen hatte - jetzt wäre es ihr tatsächlich lieber, sie könnte mit einer Waffe vernünftig umgehen. Einem Echsenwesen konnte sie mit ihrer Nahkampfttechnik sicher nicht beikommen.
Sie legte Ava beschwichtigend die Hand auf den Arm, da sie ihre Anspannung wahrnehmen konnte. "Ich will mich wirklich nicht in deine Angelegenheiten einmischen und ich kann auch gut verstehen, dass du dein Pony mitnehmen willst, denn ich mag Pferde auch viel lieber als diese stoischen Maultiere. Aber es geht hier nicht nur um steinige Wege, sondern wir werden weit ins Hochgebirge ziehen, über Saumpfade unter tiefem Schnee. Das würde für dein Pony sehr mühsam und auch gefährlich werden. Außerdem warten unberechenbare Gefahren auf uns. Diese Grünkrankheit befällt auch Tiere. Es könnte der Zeitpunkt kommen, an dem du froh wärst, dein Pony wäre hier in der Garnison in Sicherheit. Vielleicht denkst du einfach noch einmal in Ruhe darüber nach." Valeska schenkte der anderen Frau ein warmes, aufmunterndes Lächeln und hoffte inständig, sie würde ihr die klaren Worte nicht übel nehmen.

Ava hörte Valeska aufmerksam zu. Schnee wäre für ihr Pony kein großes Problem, diese Sache mit der Krankheit beunruhigte sie dann aber doch. Dankbar erwiderte sie: "Vermutlich hast du Recht. Ich weiß mein Pony lieber hier in Sicherheit. Kann ich mich wenigstens noch von ihr verabschieden?"

"Ich weiß nicht genau, wann wir aufbrechen, aber die Garnison ist nicht zu weit weg. Wenn du gleich gehst, dann schaffst du es bestimmt noch." Valeska sah die anderen Gruppenmitglieder fragend an. Sie hoffte, sie hatte sich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, als sie diese Antwort gab. Gab es eigentlich einen Führer der Gruppe, der sie leitete und solche Dinge entschied?

Wieso beteiligte sich sonst niemand an dem Gespräch? Ava hoffte das ihr Verabschiedungswunsch auch das ja der anderen bekam. Aber zuerst fragte sie Valeska: "Garnision, was soll ich denn da?"