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    Beitrag von Strato Incendus Mi 26 Dez 2018 - 17:52

    Jetzt habe ich mich gerade in einem anderen Thread über die Unzulänglichkeiten eines großen modernen Kino-Genres ausgelassen - den Superhelden-Filmen - also sollte ich vermutlich auch nachlegen, was ich denn als Beispiel nennen würde, wie man es besser macht Very Happy .

    Seit der neuen Mode, wo Zuschauer auf einmal Charakterentwicklungen sehen wollen und das mittlerweile auch explizit so benennen können (vorher war das zwar auch schon nicht schädlich, aber die Leute schienen sich dessen weniger bewusst), bin ich generell sowieso eher ein Serien- als ein Kino-Fan geworden. Hier hat man die Möglichkeit, die Figuren über einen viel längeren Zeitraum kennen zu lernen, weil man - dank Netflix & Co. - sie ja wirklich jeden Tag zu Gesicht bekommt wie Bekannte. Bei einem Kinofilm dagegen sitzt man verhältnismäßig lange am Stück vor der Glotze, muss sich am Anfang erst in die Personen hineindenken, und am Ende kommt dann bereits nichts mehr. Da sind natürlich die Character Arcs, die ein Film bieten kann, zeitlich deutlich beschränkter als in einer Fernsehserie, wie man fairerweise sagen muss.

    Der Hauptnachteil, den Serien als Format dagegen haben, ist, dass sie fast alle irgendwann den berühmten "Jump the Shark"-Moment erreichen, an dem sie ihren Zenit überschritten haben (wobei lange Kinoreihen selbstverständlich auch nicht davor gefeit sind... Wink ).

    Umso überraschter bin ich, wie lange die US-Anwaltsserie "Suits" diesen Moment umschifft - wir sind gerade bei der vor ein paar Tagen auf DVD erschienenen Season 7 (!) - und dabei immer noch alle anderen Serien-typischen Stärken aufrechterhält:

    Alle Charaktere haben nachvollziehbare Motivationen, entwickeln sich ständig weiter, und die Autoren schaffen es, sich neue Probleme zu überlegen, ohne, dass diese an den Haaren herbeigezogen wirken:
    Der aufmerksame Zuschauer wird weiterhin fürs Mitdenken belohnt, indem er bestimmte Dinge vorhersagen kann - und alle anderen werden durch einen in sich stimmigen Plot Twist überrascht.
    Das gelingt, ohne dass dafür die Kernproblematik der ersten Staffeln - Hauptcharakter Mike arbeitet dank seines fotografischen Gedächtnisses, durch das er praktisch alle Gesetzestexte auswendig kennt, für eine Top-Kanzlei, ohne jemals Jura studiert zu haben, geschweigedenn Anwalt zu sein - ewig weiter ausgewalzt oder immer neu hochgekocht werden müsste.



    Alle Hauptcharaktere haben weitgehend realistische Stärken und Schwächen, es gibt weder übermächtige Mary Sues / Gary Stus, die mit allem durchkommen, noch völlige Tölpel, die ständig nur auf die Schnauze fallen:

    Protagonist Mike Ross hat sein fotografisches Gedächtnis als Talent und seinen Idealismus, auch für die kleinen Leute kämpfen zu wollen statt nur für die großen Firmen - ist dadurch jedoch auch zuweilen zu naiv oder setzt sich nicht ausreichend durch. Wenn er es dann aber doch tut, dann eben aufgrund seiner Genialität.

    Sein Chef Harvey Specter ist ein Vorgesetzter, wie man ihn gerne hätte, ohne deshalb ein Heiliger zu sein. Er hat zwar eine große Klappe, aber er übernimmt auch gewissenhaft die Verantwortung, wenn etwas unter seinem Kommando schiefläuft. Er ist der Playboy, aber ein stabiles Privatleben hat er nicht; mit seiner Mutter hat er sich vor Jahren zerstritten, und langfristige Beziehungen kann er auch nicht aufrecht erhalten. Zuweilen fallen diese privaten Probleme dann auch auf seine Arbeit zurück, dann reagiert er über und verzockt sich auch mal. Er ist das Gegenstück zu Mike, da er sich schon so lange in der Welt des Großkapitals herumtreibt, dass es ihm primär um den Sieg geht - nicht um die Moral. Empathie ist dementsprechend auch nicht gerade seine Stärke.

    Dafür gibt es ja zum Glück Harveys Sekretärin: Donna Paulsen  hat als "Superkraft" wenn man so will ihre Intuition und Menschenkenntnis, die manchmal an Telepathie grenzt. Dadurch erfüllt sie gewissermaßen die "Mutterrolle", sie hält die ganze Truppe aus karrieregeilen Anwälten zusammen. Gleichzeitig wurmt es sie jedoch auch, dass sie eben nur Sekretärin ist und mit den großen Jungs oft nicht mitspielen darf.

    Rachel Zane ist selbst Tochter eines Anwalts, bislang allerdings nur Anwaltsgehilfin, weil sie sich stets vor der Zulassungsprüfung gescheut hat. Sie versucht also ständig, ihrem Vater zu beweisen, dass sie das Zeug zur Anwältin hat, ohne dass sie dafür Gefallen von ihm annehmen müsste.

    Luis Litt ist Harveys firmeninterner Rivale - nicht wirklich ein Gegner, mehr jemand, mit dem er ständig im Wettstreit steht - und manövriert sich durch seine Intrigen regelmäßig bei seinen Kollegen ins Aus. Gleichzeitig braucht die Kanzlei ihn jedoch auch als den "harten Hund", der die jungen Anwälte fordert und bei schwierigen Mandanten auf den Putz hauen kann. Seine Charakterentwicklung variiert immer wieder zwischen dem Bestreben, den Respekt seiner Kollegen, insbesondere den von Harvey, zu gewinnen, indem er in der Firmenhierarchie aufsteigt - und dann der Erkenntnis, dieses Ansehen wieder mit einer miesen Tour verspielt zu haben. Er ist also eher ein tragischer Charakter, für den man aber trotzdem irgendwann Sympathie entwickelt, kein wirklicher "Loser". Dieser Begriff passt eigentlich nur auf Harold, einen der jungen Anwälte unter seiner Fittiche, der nur selten im Verlauf der Geschichte einen starken Moment hat - aber das ist definitiv ein Nebencharakter Wink .


    Dass in einer Anwaltsserie, in der sich hauptsächlich Firmenbosse miteinander streiten und keine Gewaltverbrechen verhandelt werden, nur selten in Form von Actionszenen die Fetzen fliegen, sollte klar sein. Und trotzdem bleibt die Geschichte mindestens sieben Seasons lang spannend, obwohl ja fast die gesamte Handlung nur in Dialogen erzählt wird. Bedrohen, erpressen und sich wieder versöhnen kann man sich schließlich immer noch, wenn man das Gesetz zu seinen Gunsten zu biegen weiß.

    Das hat mich als Schreiberling auch wieder ermutigt, dass es nicht unbedingt ein Problem oder der Spannung abträglich sein muss, wenn vieles von meiner Handlung von Dialogen vorangetrieben wird. Im Fantasy-Bereich hat man natürlich schneller das Bedürfnis nach einer "Quoten-Schlacht", oder zumindest einer alibimäßigen zufälligen Begegnung mit ein paar Orks am Wegesrand, nur, um dem Leser nochmal eine Pille Action zu verpassen. Aber es ist eben deutlich leichter, sich mit Charakteren zu identifizieren, die man prinzipiell erstmal als vernünftig wahrnimmt - und vernünftige Menschen reden normalerweise erstmal miteinander, ehe sie zur Klinge greifen. Very Happy


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    Beitrag von Nina Do 27 Dez 2018 - 21:34

    Na ja, ich hab ein Stück gesehen. Ist ja auf Netflix und mich hat auch interessiert, wie Meghan sich da schlägt. Die Ursprungsidee fand ich originell, vor allem, wie sehr sich alle durch das selbstbewusste Auftreten des Protagonisten täuschen haben lassen. Und natürlich die lässige Art und trotzdem immer so gut angezogen ... Aber irgendwann wurde es dann auch langweilig und mir waren dann die Charaktere dann auch schon zu perfekt, die unzähligen Überstunden, nichts fordert je Tribut und dann studiert sie auch noch nebenbei. Eines der schwersten Vollzeitstudien, das es überhaupt gibt. Ich habe dann mittendrin zu schauen aufgehört, obwohl ich ja jederzeit auf weitere Folgen zugreifen könnte.
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    Beitrag von Strato Incendus Fr 28 Dez 2018 - 10:01

    Die extremen Arbeitszeiten fand ich in der Tat auch oft unrealistisch, gerade mit Rachels Studium parallel, das hatte ich mWn auch in einem anderen Thread angeführt.

    Allerdings habe ich durchaus auch schon aus dem Real Life solche Horrorstories über die Arbeitszeiten in den USA gehört. Der kanadische Psychologe Jordan Peterson etwa beschrieb einmal, warum eben solche "Top Law Firms" gerade Frauen Anfang 30 (wie Rachel) oft nicht zum Bleiben bewegen könnten, weil denen üblicherweise gerade die Familie wichtiger wird, und in den höchsten Ebenen dieser Kanzleien fänden sie "80 hour work weeks".

    Man muss sich mal bewusst machen, ich habe es gerade nochmal nachgeguckt: Die USA liegen mit durchschnittlich 12 tariflichen Urlaubstagen im Jahr (vgl. 29 in Deutschland) noch hinter dem fürs Kaputtarbeiten ("Karoshi") berüchtigten Japan (dort sind es 18). Und dann gibt es noch Firmen, die einem Boni bezahlen, um einen zu ermutigen, auch diese wenigen Urlaubstage nicht zu nehmen. Einen gesetzlichen Urlaubsanspruch gibt es dort nicht, es gibt 10 Feiertage im Jahr und das war's.

    Wie man bei sieben Tagen auf 80 Wochenstunden kommt, weiß ich zwar auch nicht, es sei denn, die Amis zählen ihren Arbeitsweg mit dazu. Von 60 Stunden habe ich allerdings schon öfter gehört (schätze mal 5x12, wenn das Wochenende unberührt bleibt).

    Dass Erschöpfung exponentiell zunimmt und man während der letzten 2-4 Stunden eines 12-Stunden-Tages (im Vergleich zu 8 Std.) deutlich weniger produktiv ist, hat denen wohl noch keiner gesagt Very Happy . Aber die Calvinisten haben ja die Arbeit heilig gesprochen, und wo die Religion anfängt, hört die Vernunft auf...  Suits 3434132744


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