(Da das Forum mal wieder meine Antwort geschluckt hat und ich eigentlich grad noch im Feiertagsstreß bin, hier nur mehr die Kurzfassung.)
"Asrai" von Liane Mars
(Bisher gelesen: Band 1 "Die Portale der Drachen" und Band 2 "Die Magie der Drachen")
Obwohl unsere Interessen beim Lesen meilenweit auseinandergehen, haben meine Schwestern und ich beschlossen, einen kleinen Buchclub aufzumachen. Und da ich eh nächstes Jahr mal testweise in die Romantasy-Welt eintauchen will, hab ich mich zu dieser Serie überreden lassen.
Bei "Romantasy mit Drachen" hätte ich ja eher einen billigen Fourth Wing Abklatsch erwartet, aber die Autorin hat mich wirklich positiv überrascht.
Ein paar Dinge sind mir negativ aufgefallen (hauptsächlich falsch genutzte Redewendungen und unrealistisch lange TED-Talks eines Charakters während Action-Szenen oder eigentlich hitzigen Debatten), aber insgesamt hat mich die Geschichte erstaunlich mitgerissen. Band 2 wäre ja noch gar nicht auf unserer Liste gewesen, aber ich wollte doch tatsächlich weiterlesen, statt auf meine beiden Lesemuffel zu warten ...
Das Worldbuilding ist erstaunlich solide (inklusive einer Drachenreiterschule, die darauf achtet, daß die Schüler NICHT während der Ausbildung draufgehen). Selbst wenn man teils erkennt, daß die Magie-Regeln stark an die Bedürfnisse der Geschichte angepaßt sind, sind diese durch die Bank schlüssig und passend. Die Beweggründe der unterschiedlichen Fraktionen sind nachvollziehbar, und die dargestellte Kultur wirkt erstaunlich realistisch (im Guten, wie auch im Schlechten). Einzig die Größe der Welt erschließt sich mir nicht. Da ist die Rede von nur 5 Drachenhorten (offenbar die einzigen Ballungsräume der Kultur?), andererseits wird an anderer Stelle eine Drachenarmee als aus "nur noch 200 Drachen" bestehend bezeichnet.
Selbiges mit den Charakteren. Auch wenn ein paar davon deutlich zu kurz kommen (ich "spür" die Verbundenheit der Schüler nicht wirklich, da wird der Anfreundungsprozeß teils nur kurz zusammengefaßt - ich versteh die Gründe für die jeweiligen Zeitsprünge, hätte mir persönlich aber gewunschen, daß wir stattdessen die Protagonistin durch den Prozeß live begleitet hätten), die wichtigen Personen wirken nicht wie bloße Statisten für einzelne Szenen, sondern haben jeweils eine gut ausgearbeitete Vergangenheit. Manchmal auch mehr als eine ...
Besonders bei der Protagonistin fällt das sehr positiv auf. Sie ist weder die leere Leinwand, auf die sich der geneigte Leser projizieren kann, noch der unleidliche Girlboss. Sie ist stark, ohne andere dabei abzuwerten und ohne dabei einfach "Rambo mit Titten" zu sein. Einer der stärksten Sätze war für mich frei in Richtung "Sie tat das, was sie am Besten konnte: Sich Hilfe holen". Das heißt aber auch nicht, daß sie eine Damsel in Distress ist, ganz im Gegenteil. Oft genug/viel zu oft springt sie auch selbst in die Bresche. Sie ist unerfahren aber risikofreudig, freundlich aber nicht auf den Mund gefallen, unsicher aber standhaft. Und vor allem eins: meiner Meinung nach durchgehend sympathisch.
Und ihr Love Interest? Der beleidigt sie nicht, quält sie nicht, muß nicht von ihr "gefixt" werden. Klar ist nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen, aber das Ganze ist wirklich erstaunlich untoxisch. Jaaaaha, Romantasy ohne toxische Tropes, wer hätte das erwartet?
Wenn der Gute Scheiße baut, dann hat das auch Konsequenzen - und ist nicht mit einem "Sorry" und ein wenig Knutscherei erledigt. Generell, auch jenseits der Romanze haben Fehltritte von Charakteren tatsächlich Konsequenzen - und einmal gebrochenes Vertrauen braucht teils ein ganzes Buch, um wieder langsam aufgebaut zu werden. Das ist gerade im Fantasy-Bereich meiner Meinung nach viel zu selten der Fall.
Apropos Knutscherei: Ich tendiere teilweise dazu, die Reihe eher in "Fantasy mit Liebesgeschichte" einzuordnen als wirklich unter "Romantasy". Der Plot ist nicht nur ein Rahmen für die Romanze, sondern die Romanze viel mehr einer von vielen Bausteinen des Plots. Im zweiten Band wirds teilweise ein wenig melodramatisch (meine Augen haben sich bei einer Szene so weit nach oben verdreht, daß ich mir selbst in den Kopf blicken hätte können), aber generell waren die Schwärmereien und späteren Zuneigungsbekundungen angenehm dosiert und haben nicht von der Handlung selbst abgelenkt. Ich muß ja zugeben, von Zeit zu Zeit ist mir da sogar ein kleines "Naaaaw
" über die Lippen gerollt.
Und Freunde des Smut werden hier gar nicht auf ihre Kosten kommen. Die erste und einzige "Sex-Szene" gibt's im zweiten Band. Da wird zwar nicht abgeblendet, aber der Vorgang nur kurz, einfühlsam und jugendfrei beschrieben. Der Fokus liegt vor allem auf den Empfindungen, und wir verbringen deutlich mehr Zeit mit dem Davor und dem Danach. Hat sich sehr angenehm gelesen und sich harmonisch in den Rest des Buches eingefügt.
Generell greift die Reihe viele Klischees auf, um sie dann übers Knie zu brechen und stattdessen etwas Eigenes daraus zu machen. Wann immer ich mir dachte "jaja, ich weiß schon, und jetzt passiert dies oder das", hat mich die Autorin damit überrascht, daß die Charaktere dann doch anders (und wesentlich besser zu ihrer Persönlichkeit passend) reagiert haben. Daumen hoch, mit sowas kann man mich immer bei Laune halten.
Der Klappentext des dritten Bandes (die Geschichte der ersten beiden ist in sich abgeschlossen, der dritte ist dann die Fortsetzung des Epilogs) hätte mich ohne Vorkenntnisse nicht zum Lesen eingeladen. Da zeichnet sich eine WIRKLICH toxische Beziehung ab - aber die Autorin bekommt von mir gerade einen immensen Vertrauensvorschuß, daß die Reaktion darauf anders ausfallen könnte, als man bei anderen Vertretern des Genres erwarten würde. Ich bin gespannt, ob sie mich da wieder positiv überraschen kann.
Insgesamt also: Kein Meisterwerk, muß es aber auch nicht sein. Stattdessen eine spannende Geschichte mit relativ solidem Worldbuilding, glaubhaften Charakteren und teils unkonventionellen Konfliktlösungsansätzen. Geschrieben vermutlich für ein jüngeres Publikum, aber auch ich als alter Mann hatte meine helle Freude beim Lesen.